Georges Aperghis erhält den internationalen, mit 250.000 Euro dotierten Ernst von Siemens Musikpreis 2021. Dies wurde am Dienstagabend im Rahmen der Preisverleihung an Tabea Zimmermann vom Kuratorium der Stiftung bekannt gegeben. Die KomponistInnen-Förderpreise 2021 und jeweils 35.000 Euro gehen an Malte Giesen aus Deutschland, Mirela Ivičević aus Kroatien und Yair Klartag aus Israel. Der im Corona-Jahr eingerichtete Studierenden-Hilfsfond, der bereits 2020 mit 3,6 Mio Euro ausgestattet war, wird auch in diesem Jahr mit 2 Mio Euro notleidende Musikstudierende unterstützen. Das Hauptanliegen der Ernst von Siemens Musikstiftung ist auch 2021 die Förderung zeitgenössischer Musikprojekte weltweit, in die der größte Teil des Fördervolumens fließt.
Ernst von Siemens Musikpreis 2021 Mit Georges Aperghis zeichnet die Ernst von Siemens Musikstiftung eine unverwechselbare Stimme unter den herausragenden KomponistInnen unserer Zeit aus. Das Kuratorium der Ernst von Siemens Musikstiftung würdigt ein Lebenswerk, das quer zu allen Strömungen steht, sich schneller Einordnung widersetzt und das Musiktheater unserer Zeit auf einzigartige Weise erneuert und bereichert hat. Die Vielfalt und Hintergründigkeit seiner Musik, sein progressiver Umgang mit Sprache werden genauso gewürdigt, wie seine grenzenlose Offenheit gegenüber Bereichen, in die die zeitgenössische Musik sonst kaum vorzudringen vermag.
Geboren am 23. Dezember 1945 in Athen als Sohn eines Bildhauers und einer Malerin weiß Aperghis sich zunächst nicht zu entscheiden zwischen der Welt der bildenden Kunst und jener der Musik, die er im Klavierunterricht bei einem Freund der Familie und über das Radio für sich entdeckt hat. Komponist wird er schließlich im Wesentlichen als Autodidakt. Die darin sich manifestierende Unabhängigkeit, gepaart mit einem unerschütterlichen Vertrauen in die eigene künstlerische Kraft, durchzieht sein gesamtes Schaffen bis heute. 1963 bricht er auf nach Paris, wo er bis heute lebt und arbeitet. Hier sucht er musikalisch zunächst Anschluss an die prägenden kompositorischen Strömungen der Zeit: an den in Frankreich von Pierre Boulez repräsentierten Serialismus, an die Tonbandexperimente der sogenannten "Musique concrète“, an die mit Klangmassen arbeitende Musik seines in der gleichen Stadt lebenden Landsmannes Iannis Xenakis und an das instrumentale Theater eines Mauricio Kagel. Ab 1970 entwickelt er nach und nach seine unverwechselbare musikalische Sprache. Das kompositorische Schaffen von Aperghis umfasst mehr als 100 Werke, darunter zahlreiche Stücke für Soloinstrumente, nicht selten aber auch für Stimme solo, so etwa die Récitations für Frauenstimme von 1978, oder die Jactations (wörtlich: Stottern) für Bariton solo von 2001. Daneben schreibt er Kammermusik, Ensemblewerke, seltener Orchesterwerke. Die Partituren sind häufig das Ergebnis einer engen und sehr persönlichen Zusammenarbeit mit experimentierfreudigen Interpreten wie Geneviève Strosser, Donatienne Michel-Dansac, Nicolas Hodges oder Uli Fussenegger und Ensembles wie Ictus, Klangforum Wien, Musikfabrik oder dem Ensemble intercontemporain. Allen Werken, ob mit Stimme oder rein instrumental ist eines gemein: Die Auseinandersetzung mit Sprache und deren Bedeutung. Was aber von Anfang an und bis heute sein Schaffen prägt, ist die unermüdliche Suche nach einem neuen Musiktheater, welches "Musik aus allem machen“ möchte. 1976 gründet er mit seiner Frau, der Schauspielerin Edith Scob, mit der er zwei Söhne hat, sein erstes eigenes Theater: das "Atelier Théâtre et Musique“, genannt ATEM, eine Musiktheater-Werkstatt, die in der sozialen Realität eines Pariser Vororts (Bagnolet) verankert war. Hier sucht er zugleich nach neuen Relationen von Theater und Musik, von Klängen und Körpern. Stücke wie Avis de Tempête von 2004 verbinden vokale, instrumentale, gestische, narrative und szenische Elemente in einem einzigartigen expressiven Rahmen. Das Musiktheater von Aperghis zeichnet sich aus durch eine große Offenheit gegenüber dem ganz Anderen, und sei dies eine Maschine oder ein Roboter. Es entsteht häufig im Dialog mit anderen Kunstformen wie Schauspiel, Tanz oder bildender Kunst.
Georges Aperghis‘ frischer Geist, sein Erfindungsreichtum, sein ungezügelter Forscherdrang und seine Errungenschaften im Bereich des Musiktheaters machen ihn zu einer der richtungsweisendsten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musik. Für seine Verdienste erhält er am 17. Februar 2022 in der Münchner Muffathalle den Ernst von Siemens Musikpreis 2021.
KomponistInnen-Förderpreise 2021 Die drei KomponistInnen-Förderpreise der Ernst von Siemens Musikstiftung gehen 2021an den Deutschen Malte Giesen, die in Wien lebende Kroatin Mirela Ivičević sowie an Yair Klartag aus Israel. Die Auszeichnung für vielversprechende junge KomponistInnen ist jeweils mit 35.000 Euro dotiert. Zudem erhalten die jungen Künstler eine individuell und hochwertig produzierte Porträt-CD, die in der Reihe der Ernst von Siemens Musikstiftung beim Wiener Label KAIROS erscheint. Die drei KomponistInnen werden am 1. Oktober 2021 gemeinsam mit den PreisträgerInnen des Jahres 2020 präsentiert, dem Franzosen Samir Amarouch, der in Berlin lebenden US-Amerikanerin Catherine Lamb sowie Francesca Verunelli aus Italien. Die beiden Konzerte werden von der musica viva des Bayerischen Rundfunks im Prinzregententheater München veranstaltet.
Malte Giesen, 1988 in Deutschland geboren, studierte Komposition und Computermusik an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart bei Marco Stroppa und Oliver Schneller, es folgten weitere Studien am CNSM Paris bei Gérard Pesson und bei Hanspeter Kyburz und elektroakustische Musik bei Wolfgang Heiniger an der HfM Berlin. Er unterrichtet zeitgenössische Improvisation an der HfM Karlsruhe und elektroakustische Musik an der HfM Berlin. Malte Giesen handhabt alle technischen Dinge virtuos und mit leichter Hand. Er stellt mit Hilfe des Computers lustvoll alles, was an Musik selbstverständlich erscheint, in Frage.
Mirela Ivičević wurde 1980 in Kroatien geboren. Sie studierte Komposition und Musiktheorie an der Musikakademie Zagreb bei Željko Brkanović, Komposition bei Beat Furrer in Graz sowie Medienkomposition und angewandte Musik bei Klaus-Peter Sattler in Wien, wo sie seit ihrem Studium lebt. Hier hat sie mit anderen das auf experimentelle Konzerte spezialisierte Black Page Orchestra gegründet. Im Mittelpunkt von Mirela Ivičevićs Arbeit steht das subversive Potenzial des Klangs. Den wesentlichen Teil ihres Schaffens bilden Werke, die die klanglichen, medialen und anderen (Neben-)Produkte des Alltags neu kontextualisieren.
Yair Klartag ist ein israelischer Komponist, der derzeit in Tel Aviv lebt. Er studierte Komposition an der Universität Tel-Aviv, der Musikhochschule Basel und der Columbia University bei Ruben Seroussi und Georg Friedrich Haas. Klartags kompositorischer Ansatz konzentriert sich gänzlich auf die Wahrnehmung der Zuhörer: "Mich interessiert vor allem die innere Form eines Klangs; zu verstehen, wie viel Zeit er benötigt, um sich zu entfalten und wahrgenommen zu werden. Das Spiel mit und gegen diese den Klängen innewohnende eigene Dauer ist eines der am häufigsten verwendeten Verfahren aus meinem kompositorischen Werkzeugkasten.“
2 Millionen Euro für Studierenden-Hilfsfond
Der im Corona-Jahr eingerichtete Studierenden-Hilfsfond, der bereits 2020 mit 3,6 Mio Euro ausgestattet war, wird auch in diesem Jahr mit 2 Mio Euro notleidende Musikstudierende der Musikhochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterstützen. Der Fond wurde vom Stiftungsrat der Ernst von Siemens Musikstiftung im Corona-Mai 2020 kurzfristig eingerichtet, um schnell und unbürokratisch auf die prekäre Situation der Musikstudenten zu reagieren.
Die Ernst von Siemens Musikstiftung vergibt insgesamt 5,6 Millionen Euro
2021 vergibt die Stiftung insgesamt 3,6 Millionen Euro an Preis- und Fördergeldern. Gefördert werden 2021 weltweit 135 Projekte im zeitgenössischen Musikbereich. Der größte Anteil der Förderung entfällt erneut auf Kompositionsaufträge, aber auch Wiederaufführungen, Festivals, Konzerte, Kinder- und Jugendprojekte, Akademien sowie Publikationen werden mit Fördergeldern bedacht. Die ersten Ensemble-Förderpreise überhaupt gingen an das Riot Ensemble aus London und das Ensemble Synaesthesis aus Litauen. Mit jeweils 75.000 Euro wird die künstlerische und strukturelle Entwicklung herausragender, junger Ensembles gefördert. Außerdem stellt die Ernst von Siemens Musikstiftung zusätzliche Mittel für die Reihe räsonanz – Stifterkonzerte in Kooperation mit der musica viva des Bayerischen Rundfunks und Lucerne Festival zur Verfügung. Das nächste Stifterkonzert findet am 6. September 2021 in Luzern statt.