Der Nachlass des Pioniers der deutschen Jazzszene, Wolfgang Dauner (1935-2020), wird in der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart aufbewahrt, zugänglich gemacht und erforscht. Am Freitag (23. Februar) unterzeichneten die Witwe des vor vier Jahren gestorbenen Pianisten, Randi Bubat, und der Direktor der Württembergischen Landesbibliothek, Dr. Rupert Schaab, einen Übergabevertrag. Die Musiksammlung der WLB verpflichtet sich damit zur Bewahrung und Vermittlung eines bislang sonst wenig beachteten Teils des kulturellen und musikalischen Erbes in Deutschland.
Die Erwerbung wurde durch das Engagement von Prof. Dr. Ralf Kitzberger, Jürgen Schlensog und Prof. Dr. Gerhard Wegen möglich. Gefördert wurde sie aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie der Berthold Leibinger Stiftung, der Stiftung für Kunst und Kultur der Sparda-Bank Baden-Württemberg, der Kulturstiftung der Länder und der Ruprecht Stiftung (Ludwigsburg).
Kunstministerin Petra Olschowski sagte: „Der Nachlass von Wolfgang Dauner spiegelt die deutsche Jazz-Musik von der Nachkriegszeit bis heute. In seiner Vielfalt ist er nahezu einzigartig. Er dokumentiert in faszinierender Weise den Beitrag, den der Musiker und Mensch Wolfgang Dauner für den deutschen Jazz erbracht hat. Mit der Überführung des Nachlasses in die Württembergische Landesbibliothek wird die Grundlage dafür geschaffen, dass die Musikerinnen und Musiker der Zukunft mit diesem Bestand arbeiten und sich auf Dauer vom künstlerischen Schaffen Wolfgang Dauners inspirieren lassen können.“
WLB-Direktor Rupert Schaab sagte: „Ich bin froh, dass die Reihe unserer Musikernachlässe endlich um den Bereich Jazz ergänzt werden kann. Angesichts knapper Mittel fällt es vielen Sammlungen schwer, sich auf neuen Feldern fortzuentwickeln. Umso mehr begrüße ich das hartnäckige Engagement von Freunden Randi Bubats, welches wesentlich zur Unterstützung durch die Stiftungen und das Land beigetragen hat.“
Randi Bubat erinnerte an Wolfgang Dauner, der gerne Friedrich Nietzsche zitierte: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“.
Jazz neu denken: Wolfgang Dauner (1935-2020)
Als Wolfgang Dauner 1935 in Stuttgart geboren wurde, galt Jazz hierzulande noch als entartete Musik. Als Kind erhielt er zunächst Klavierunterricht im klassischen Repertoire. Doch nahm seine bemerkenswerte musikalische Neugier auch jenseits traditioneller Bahnen Gehörtes auf, improvisierte und experimentierte er sein Leben lang mit fremdem Material, anderen Spielweisen und neuen Klanggeräten und entwickelte dadurch sein eigenes Spiel weiter. Zu seinen Inspirationsquellen gehörten die Clubs der amerikanischen Truppen und der außereuropäischen Musik. So wurde Dauner nach Kriegsende zur zentralen Figur einer sich rasch entwickelnden Stuttgarter Jazzszene. 1963 gründete er das Wolfgang Dauner Trio, das europaweit auf Festivals auftrat und die Entwicklungen im Jazz über Deutschland hinaus mitbestimmte. Auch als Leiter der Radio-Jazz-Group des Süddeutschen Rundfunks trieb Dauner die Entwicklung des zeitgenössischen Jazz voran und war mitverantwortlich für bedeutende Produktionen europäischer Jazz-Größen. Er komponierte für Film und Fernsehen, Sinfonisches, eine Oper, brachte Jazz und Kirchenmusik zusammen, spielte mit Synthesizern und anderen elektronischen Musikinstrumenten, und er schuf Musik, die zugleich Kunst in einem viel weiteren Sinne ist: seine spektakulären Happenings fanden ein breites Echo, seine graphischen „Partituren“ sind noch wenig bekannt.
Den Jazz neu denken, jenseits der bloßen Imitation amerikanischer Vorbilder, jenseits des Zelebrierens von Personalstilen, das reizte Wolfgang Dauner auch in der Zusammenarbeit mit anderen international renommierten Musikern. Zu nennen ist hier insbesondere das United Jazz + Rock Ensemble, das seit den späten 70ern die Fusion-Entwicklung auch über Europa hinaus nachhaltig prägte. Die Verschmelzung verschiedener Stile, das Experimentieren mit Genregrenzen und die Integration elektronischer Instrumente wurden wegweisend und verhalfen dem Jazz zu einer die Grenzen im Musikleben überwindenden Wirksamkeit, die wenige Jahrzehnte zuvor kaum denkbar gewesen wäre.
Nachlass eines Ausnahmekünstlers
Erworben wird von der Landesbibliothek nicht nur das komplette Studio mit Bösendorfer Flügel, Synthesizern, Musik-Abspielgeräten und Computern mehrerer Generationen. Den Kern des Nachlasses bilden die künstlerischen Ergebnisse von Dauners Schaffen: die Musikhandschriften seiner Werke und Skizzen, graphische Blätter, Ton- und Videoaufnahmen, ergänzt von Plakaten, Fotos und anderen Lebenszeugnissen, etwa der Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg. Wolfgang Dauner war zugleich ein großer Organisator, Zeugnis hiervon sind beispielsweise die Unterlagen des Labels Mood Records, mit dem die Vermarktung des Jazz in eigene Hände genommen wurde.