Wesko Rohde, Vorstand der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft
Wesko Rohde, Vorstand der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft  
Photo:  Christof Heinz

Aufwändige Produktionen, hoher Energieverbrauch und riesige, häufig sanierungsbedürftige Gebäude: Beim Thema Nachhaltigkeit steht die Theaterlandschaft vor großen Herausforderungen. Konkrete Hilfestellung gibt das „Theatre Green Book“.

Je komplexer ein Kunstwerk, desto größer der Aufwand, der vor und hinter den Kulissen betrieben werden muss. Das macht sich auch am Ressourcenverbrauch bemerkbar – wovon insbesondere Theatertechniker*innen ein Lied singen können. Wesko Rohde zum Beispiel, der fast vier Jahrzehnte lang in diesem Bereich gearbeitet hat und als Technischer Direktor an verschiedenen Theatern Zeuge wurde, wie sich Bühnenkunst nicht nur in pure Magie verwandelte, sondern aufgrund ihres hohen Energiebedarfs auch in hohe Gas-, Strom- und Wasserrechnungen. Ein weiteres leidiges Thema: die Müllentsorgung, denn ausrangierte Bühnenbilder gehören im Regelfall nicht zu den Dingen, die man als Sperrmüll am Straßenrand deponieren kann. „Das Thema Nachhaltigkeit ist für die Menschen am Theater weiß Gott nicht neu“, sagt Rohde, „das hat uns schon vor Jahrzehnten beschäftigt.“ Bereits seit Längerem ist er ein geschätzter und viel konsultierter Experte auf diesem Gebiet. Er sitzt im Vorstand der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft (DTHG), dem Fachverband für technische Berufe an Schauspiel- und Opernhäusern, und berät in dieser Funktion Theaterschaffende und Verantwortungsträger in Sachen Ressourcenschonung und bei der Verbesserung ihrer Energieeffizienz: praxisnah und individuell, denn so unterschiedlich wie die Kulturbauten sind auch die Probleme, die in ihnen lauern.

Eine große Hilfestellung bei den Nachhaltigkeitsbestrebungen an deutschen Theatern bietet seit Neuestem das „Theatre Green Book“, dessen erster Teil im August 2022 auf der Internetseite der DTHG als PDF veröffentlich wurde und dort kostenfrei heruntergeladen werden kann; zwei weitere Teile folgten in den Monaten darauf. Es handelt sich dabei um ein Praxis-Handbuch, das in die unterschiedlichen Arbeitsbereiche Produktion, Gebäudebetrieb bzw. -sanierung und Organisation aufgeteilt ist. In klar aufgebauter Form und mit kurzen Abschnitten zeigt es konkrete Schritte für ein umwelt- und sozialverträgliches Arbeiten an Kulturinstitutionen auf. Denn, so Rohde: „Nachhaltigkeit umfasst nicht nur Ökologie. Der gesellschaftliche Aspekt muss immer mitbedacht werden.“ Entwickelt wurde die Publikation vom britischen Theaterarchitekten Patrick Dillon in Zusammenarbeit mit den Nachhaltigkeitsexperten der Beraterfirma Buro Happold; auch andere renommierte Organisationen aus diesem Bereich haben ihr Knowhow zur Verfügung gestellt. Nachdem es in Großbritannien für Furore gesorgt hatte, dauerte es nicht lange, bis das „Green Book“ auch in den Kreisen deutscher Theatertechniker*innen kursierte. Wesko Rohde spricht von „wahren Begeisterungsstürmen“ unter den Vertreter*innen seines Berufsstands. „Wir waren uns in der DTHG schnell einig, dass wir so etwas auch für die deutsche Theaterlandschaft brauchen“, sagt er. „Genauso schnell war uns allerdings auch klar, dass es mit einer bloßen Übersetzung nicht getan wäre.“

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Denn die Voraussetzungen, von denen die britische, von Theatres Trust und der Association of Theatre Technicians in Auftrag gegebene Originalausgabe ausging, unterscheiden sich teilweise fundamental von denen der deutschen Theater. „In Großbritannien, wo das Privattheater noch einen viel größeren Stellenwert hat, mietet man meist für eine bestimmte Produktion ein bestimmtes Theater“, erklärt Wesko Rohde. „Alles, was man hierfür braucht, bringt man mit und muss es hinterher auch wieder entsorgen.“ Eine Art Wegwerfbetrieb, wenn man so will, den es so an den zahlreichen öffentlich geführten Häusern in Deutschland nicht gibt. „Wenn man in das britische ‚Green Book‘ schaut, findet man hier etwa ganz viele Hinweise und Tipps zur Arbeit mit nachhaltigen Materialien, aber auch zur richtigen Lagerung und Wiederverwertung, Punkte, bei denen wir sagen können: Das läuft bei uns in Deutschland schon seit 30 Jahren so. Und das ist zunächst einmal eine positive Nachricht, weil es zeigt, dass wir schon jetzt vieles richtig machen.“ Der Anspruch sei auch gar nicht, das Rad neu zu erfinden. Vielmehr gehe es darum, bewährte Erkenntnisse und Handlungsweisen, die Theaterschaffende im Laufe von Jahrzehnten entwickelt haben, zu bündeln und allgemein zugänglich zu machen. Denn ganz gleich, wie viele Maßnahmen man bereits jetzt schon umsetzt: Es gibt immer noch etwas, das man von anderen lernen kann. Und das fängt schon im eigenen Haus an.

Theatre Green Book Bd. 1
Cover Theatre Green Book Bd. 1  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Auszug Theatre Green Book Bd. 1
Auszug Theatre Green Book Bd. 1  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Cover Theatre Green Book Bd. 2
Cover Theatre Green Book Bd. 2  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Auszug Theatre Green Book Bd. 2
Auszug Theatre Green Book Bd. 2  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Auszug Theatre Green Book Bd. 2
Auszug Theatre Green Book Bd. 2  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Auszug Theatre Green Book Bd. 2
Auszug Theatre Green Book Bd. 2  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Auszug Theatre Green Book Bd. 2
Auszug Theatre Green Book Bd. 2  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Cover Theatre Green Book Bd. 3
Cover Theatre Green Book Bd. 3  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Auszug Theatre Green Book Bd. 3
Auszug Theatre Green Book Bd. 3  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Auszug Theatre Green Book Bd. 3
Auszug Theatre Green Book Bd. 3  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft
Auszug Theatre Green Book Bd. 3
Auszug Theatre Green Book Bd. 3  
Photo:  Deutsche Theatertechnische Gesellschaft

„Wenn ich Häuser berate, stelle ich immer wieder fest, dass die technischen Abteilungen untereinander zwar einen kollegialen Umgang pflegen, oft aber gar nicht wissen, was die anderen eigentlich machen“, sagt Wesko Rohde. Schon aus diesem Grund gehe viel Energieeinsparungspotenzial verloren, weshalb eine der zentralen Empfehlungen des „Green Book“ auch die Bildung eines Praxisteams sei, das sich möglichst aus leitenden Bühnen- und Haustechniker*innen aller Gewerke zusammensetzen und im engen Austausch mit der Verwaltung und der Intendanz, aber auch mit Produktionsmitarbeiter*innen wie Regisseur*innen, Bühnen- und Kostümbildner*innen stehen solle. Neben der klimapolitischen Verantwortung habe das Theater schließlich – und vorrangig – auch eine künstlerische, und beide müssten miteinander in Einklang gebracht werden. „Ich bin durch und durch Theatermensch“, sagt Rohde, „ich würde niemals fordern, dass die Kunst Abstriche machen soll.“ Ob man im Rahmen eines Repertoirebetriebs aus Nachhaltigkeitsgründen nicht trotzdem auf die eine oder andere Produktion verzichten könne, gerade bei der in den letzten Jahren vielerorts zu beobachtenden erhöhten Schlagzahl an Premieren, ist dennoch ein Thema, das im „Green Book“ angesprochen wird.

„Ich bin durch und durch Theatermensch, ich würde niemals fordern, dass die Kunst Abstriche machen soll.“
Autor
Wesko Rohde, Vorstand Deutsche Theatertechnische Gesellschaft

Der praktische Nutzen der Publikation liegt in ihrer direkten Ansprache, aber auch in der Gliederung nach unterschiedlichen Arbeitsfeldern, so dass Verantwortungen und Kompetenzen von Anfang an richtig adressiert werden können. Egal, ob es um die Einsparung von Strom, um effizientere Beheizung und Belüftung, um klimafreundliches Reisen oder die Beschaffung von Büromaterial geht: Die enthaltenen Maßnahmen selbst sind in drei unterschiedlichen Intensitätsstufen gelistet. Sie richten sich zunächst an Theaterschaffende mit einem Basiswissen in Sachen Nachhaltigkeit, in zweiter Stufe an Fortgeschrittene und schließlich an Expert*innen – Mitarbeitende, die dieses Thema bereits konsistent in ihrem Arbeitsalltag verankert haben. Eng mit den Inhalten des „Green Book“ verknüpft ist das Forum auf der Website der DTHG, auf der sich Verbandsmitglieder austauschen und gleichzeitig, ebenfalls kostenlos, die ergänzenden Toolkits zu den jeweiligen Teilen herunterladen können. Hier finden sie neben praktischen Links, die den Einstieg in ein nachhaltiges Arbeiten erleichtern, auch Vordrucke, in denen die Schritte einzelner Maßnahmen dokumentiert und ausgewertet werden können. Nicht zuletzt bietet der Verband Weiterbildungsmaßnahmen zu bestimmten Themen an. „Die Nachfrage ist riesig“, sagt Wesko Rohde und betont gleichzeitig, dass Seminare und Workshops immer auch an konkrete Handlungsmaßgaben gekoppelt sind. „Nach einer bestimmten Zeit möchten wir natürlich wissen, was in der Zwischenzeit geschehen ist.“

Um noch mehr Kulturinstitutionen für die Arbeit mit dem „Green Book“ zu inspirieren, sollen die erreichten Erfolge anhand repräsentativer Beispiele in den kommenden Jahren veröffentlicht werden. „Jetzt schon haben wir ein sehr positives Feedback“, sagt Wesko Rohde nur wenige Monate nach der Veröffentlichung. Nicht nur bei den Mitarbeitenden an den Häusern, auch bei den öffentlichen Trägern und den im Hintergrund dafür verantwortlichen politischen Kräfte stoßen die darin enthaltenen Maßnahmen auf Interesse, sorgt eine zeitgemäße technische, materielle und auch personelle Umrüstung – gerade hinsichtlich anstehender Theatersanierungen – langfristig nicht nur für Einsparung von Ressourcen, sondern auch von Kosten. Wille und Tatkraft zu einem neuen, klimaschonenden Handeln sind in der deutschen Theaterlandschaft also allem Augenschein nach vorhanden. Jedoch: „Ein großes Problem ist in Deutschland die Bürokratie.“

Umständliche und langwierige Genehmigungsverfahren erschweren und verteuern nicht selten den Einbau umweltfreundlicher Technik, weshalb das „Green Book“ in seiner deutschen Fassung auch wertvolle Tipps und Hilfestellungen beim Umgang mit Behörden leistet. „Hier haben wir es mit ganz anderen Voraussetzungen zu tun als im britischen Original.“ Ein weiteres Problem kann die Publikation nur anreißen. Dabei geht es um die Herausforderungen einer Personalpolitik und -pflege, die das Arbeiten an Theatern und Opernhäusern wieder attraktiv macht. „Wichtige Voraussetzung für ein nachhaltiges Produzieren sind die Werkstätten, vom Bühnenbildbau bis zur Schusterei, im Hintergrund“, sagt Wesko Rohde. Die Nachwuchskrise, unter der das Handwerk in Deutschland insgesamt leidet, betrifft den Bühnenbereich indes besonders hart. „Wir haben vor allem ein Problem bei den Berufen, die eine Meisterqualifikation oder ein Ingenieursstudium voraussetzen.“ – Berufe, die den künstlerischen Betrieb an Theatern überhaupt erst möglich machen; denn ohne sie geht, im wahrsten Sinne des Wortes, der Vorhang erst gar nicht hoch. 500 Stellen, berichtet Rohde, seien derzeit ausgeschrieben – bei geschätzt 1.500 Jobs, die es in diesem Bereich überhaupt gibt. „Ich kann verstehen, dass die Leute bei den Gehältern und den Arbeitszeiten – oft abends oder am Wochenende – lieber etwas anderes machen“, sagt Rohde. „Doch was nützt mir die beste Photovoltaikanlage, wenn sie mir niemand aufs Dach bringt?“ Die Frage ist berechtigt – und zeigt noch einmal, dass Klimaschutz und soziale Belange Hand in Hand gehen.

Über den Autor

Stephan Schwarz-Peters arbeitet als freischaffender Journalist und Redakteur u. a. für das Tonhalle Magazin, die Philharmonie Köln sowie die Magazine Rondo und Oper!