Jugend Musiziert 2016: Cellist und Wettbewerbs-Banner.
Jugend Musiziert 2016  
Photo:  Andreas Denhoff  /  dreibildkomponist

Mit jährlich bis zu 20.000 Teilnehmenden ist Jugend musiziert der größte und bekannteste Wettbewerb für den musikalischen Nachwuchs in Deutschland. Zum ersten Mal im Jahr 1964 veranstaltet, trägt er zum hohen Niveau der musikalischen Ausbildung bei. Erreichen will der Wettbewerb eine breite Masse an Kindern und Jugendlichen, die Spaß an der Musik haben.

Mathilde Navarri gehört mit 16 Jahren schon fast zu den alten Hasen. „Als ich das erste Mal bei Jugend musiziert dabei war, war ich zehn oder elf“, berichtet die Schülerin aus München, die seit ihrem achten Lebensjahr Querflöte spielt. Ebenfalls acht war Xenia Lemberski, als sie die ersten Schritte auf ihrem Instrument, der Geige, unternahm. Auf dem Musikgymnasium Schloss Belvedere in Weimar büffelt sie derzeit fürs Abi, seit 2014 war sie fast jedes Mal bei Jugend musiziert dabei: „Insgesamt in sechs Kategorien, und in einmal habe ich sogar in zwei Kategorien gleichzeitig mitgemacht.“ Nicht nur auf der Geige, auch als Sängerin ist sie bereits beim Wettbewerb angetreten. Was Xenia und Mathilde vereint, ist der Erfolg, den sie bei Deutschlands größtem und bekanntestem Musiknachwuchs-Wettbewerb regelmäßig verbuchen können: Beide haben es bei jeder Teilnahme in die Endrunde geschafft, und dort als Preisträgerinnen aufs Podest. „Bis aufs erste Mal“, sagt Mathilde, „da war ich in einer Altersgruppe, die noch nicht zum Bundeswettbewerb zugelassen ist.“

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Jugend Musiziert: Teilnehmer mit verschiedenen Blasinstrumenten und Noten
Jugend Musiziert  
Photo:  Erich Malter

Organisation

Welche Bedeutung Jugend musiziert für das Musikleben in Deutschland insgesamt hat, weiß kaum jemand so gut wie Ulrich Rademacher. Selbst aktiver Musiker und Pädagoge, sitzt er dem Projektbeirat vor und leitet die Bundesjury. „Jugend musiziert wurde vom Deutschen Musikrat vor allem deshalb ins Leben gerufen, um dem eklatanten Nachwuchsmangel im deutschen Musikleben und insbesondere bei den Profi-Orchestern entgegenzuwirken“, berichtet er über die Anfangsjahre, in denen die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs noch immer deutlich zu spüren waren. Startschuss war 1964, und tatsächlich hatte man sich zunächst auf die „klassischen“ Orchesterinstrumente beschränkt. Fächer wie Gesang und selbst Klavier kamen erst später hinzu. „Mit Hilfe von Jugend musiziert wollte man die Zahl der Musikinteressierten erhöhen und die Qualität der Ausbildung verbessern“, sagt Rademacher. Die bundesweite Ausrichtung sollte zudem offenlegen, an welchen Orten es noch Nachholbedarf beim Unterrichtsangebot gab.

MIZ WISSEN

Jugend musiziert

Gründungsjahr: 1963
Träger: Deutscher Musikrat
Förderer: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Sparkassen-Finanzgruppe; gastgebende Bundesländer und Kommunen; lokale Förderer
Preise: Zahlreiche Sonderpreise und Anschussförderungen, wie z. B. Einladung zum Deutschen Kammermusikkurs Jugend musiziert.

Aktuelle Termine und Ausschreibungen unter www.jugend-musiziert.org.

Nicht zuletzt die Gliederung des Wettbewerbs in drei Phasen lieferte hierzu wertvolle Erkenntnisse: Die erste Runde findet auf Regionalebene statt, wobei das Wettbewerbsgebiet derzeit aufgeteilt ist in 136 Regionen mit eigener Organisationsstruktur; hinzu kommen 35 Regionen im Ausland, in denen Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen ebenfalls am Wettbewerb teilnehmen können. Wer sich auf Regionalebene mit entsprechender Punktezahl einen 1. Preis „mit Weiterleitung“ erspielt oder ersingt, wird beim Landeswettbewerb des entsprechenden Bundeslandes zugelassen. Erhält man auch hier einen 1. Preis, geht es weiter zum Bundeswettbewerb. „Der große Verdienst von Jugend musiziert ist es, vergleichbare Standards geschaffen zu haben“, resümiert Rademacher.

Repertoire

Träger von Jugend musiziert ist der Deutsche Musikrat, der sich bei der Organisation eng mit den Landemusikräten der 16 Bundesländern abstimmt. Weitere beteiligte Verbände sind der Bundesverband Musikunterricht (BMU), die Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO), der Deutsche Tonkünstlerverband (DTKV), Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) und der Verband deutscher Musikschulen (VdM). Öffentliche Förderung erhält der Wettbewerb vom Bundeministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, von den kommunalen Spitzenverbänden sowie von den Kommunen. Als Hauptsponsor leistet die Sparkassen-Finanzgruppe traditionell einen entscheidenden Beitrag zur Finanzierung. 

Von Anbeginn an konnten die Teilnehmenden ihre Stücke selbst auswählen, was Musiklehrkräften die Möglichkeit gibt, den Kanon an Unterrichtsliteratur auf kreative Weise zu erweitern. „Die Kataloge der Landes- und Bundeswettbewerbe stehen in jeder Bibliothek und sehen meist viel abgegriffener aus als die offiziellen Lehrpläne“, sagt Rademacher. Ob Klassiker oder unbekanntes Meisterwerk: Wichtig ist nur, dass die beim Wettbewerb vorgetragenen Stücke aus unterschiedlichen Epochen stammen. Lange Zeit musste auch ein zeitgenössisches Werk darunter sein, um die Verbreitung der Gegenwartsmusik unter den Kindern und Jugendlichen zu fördern. „Das haben wir mittlerweile geändert“, erklärt Ulrich Rademacher und verweist auf die Schwammigkeit dieser Kategorie. „2008 wurden Sonderpreise eingeführt für diejenigen, die einen Schwerpunkt auf Neuer Musik setzen möchten.“ Beim Wochenende der Sonderpreise, kurz WESPE, werden u. a. die Interpretation eines Stücks mit explizit „moderner“ Handschrift - gerne in Form einer eigenen Komposition – gewürdigt, aber auch die Auseinandersetzung mit Werken von Komponistinnen oder mit Stücken der klassischen Moderne, die traditionell ebenfalls eher stiefmütterlich bei Jugend musiziert behandelt werden. Als Anreiz winken besondere Preise, von denen auch Xenia Lemberski sehr profitiert hat: „Ich durfte im Anschluss ans WESPE in besonderen Sälen spielen, etwa die Georg-Friedrich-Händel-Halle in Halle oder der Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses in Bonn.“ Rundfunkaufnahmen sowie Meisterkurs-Teilnahmen öffneten ihr weitere Türen – und gaben ihr wertvolle Einblicke in ein späteres Leben als Berufsmusikerin.

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Jugend Musiziert: Mädchen mit Posaune
Jugend Musiziert  
Photo:  Erich Malter

Zielgruppen

Für Xenia, die schon einen Studienplatz an der Hochschule für Musik in Basel hat, ist dieser Weg bereits vorgezeichnet. Auch Mathilde Navarri hat die Weichen für eine Profikarriere gestellt: Seitdem ihrem 13. Lebensjahr ist sie Jungstudentin in München. Trotz der erstaunlichen Fähigkeiten, die sie und andere regelmäßig bei den Wettbewerben zeigen, ist es Ulrich Rademacher wichtig, die gesamte Bandbreite des Wettbewerbs im Blick zu behalten: „Wir richten uns an alle Kinder und Jugendlichen, die Spaß an der Musik und am Musizieren haben, nicht in erster Linie an angehende Profis.“ Das gilt besonders auf der Ebene der Regionalwettbewerbe, bei denen durchschnittlich bis zu 20.000 junge Menschen mitmachen, aber auch für die rund 7.000 Teilnehmenden der Landeswettbewerbe und die 3.000 Bundesfinalisten. „Wir wollen zeigen, wozu die musikalische Bildung in Deutschland generell fähig ist“, sagt Rademacher. Der Erfolg bestehe nicht im „Gewinnen“, sondern bereits in der Teilnahme, egal, ob als Jungstudent oder als Schülerin einer „ganz normalen“ Musikschule – was allerdings nicht heißt, dass der Wettbewerbsgedanke völlig in den Hintergrund tritt.

Um differenzierte Bewertungen treffen und über die entsprechenden Preise und Weiterleitungen entscheiden zu können, nutzt Jugend musiziert ein ausgeklügeltes Punktesystem. Zuständig für die Punktevergabe ist die jeweilige Jury, angefangen bei den Regionalwettbewerben, bei denen die Mitgliederauswahl den jeweiligen Regionalausschüssen obliegt; diese sind wiederum aus Mitgliedern einschlägiger Verbände aus dem Bereich der musikalischen Bildung sowie aus weiteren Institutionen des Musiklebens zusammengesetzt. Im Schnitt besteht eine Jury aus drei bis fünf Mitgliedern. „Um Neutralität zu gewährleisten, gibt es in jedem Jahr neue Besetzungen und Gruppierungen“, sagt Rademacher, der selbst schon unzählige Jurys mitorganisiert hat. Für die Beurteilung werden neben der technischen Umsetzung auch Faktoren wie Ausdruck, Vielseitigkeit und Stückauswahl berücksichtigt.

„Wir richten uns an alle Kinder und Jugendlichen, die Spaß an der Musik und am Musizieren haben, nicht in erster Linie an angehende Profis.“
Autor
Ulrich Rademacher

Neuerungen und Bewährtes

Am Höchstalter von 21 Jahren hat sich bei Jungend musiziert bis heute nichts geändert; Ausnahmen bilden lediglich die Fächer Gesang und Orgel, wo eine Teilnahme noch mit 27 möglich ist. Auch die Aufteilung in unterschiedliche Altersgruppen ist gleichgeblieben. Was sich indes verschoben hat, ist der Fokus vom rein Solistischen auf die Ebene des gemeinsamen Musizierens. „Die Einführung eines Drei-Jahres-Turnus war der wohl radikalste Umbau, den wir bei Jugend musiziert jemals vorgenommen haben“, sagt Ulrich Rademacher und meint dabei die Regelung, dass man mittlerweile nur noch alle drei Jahre mit einem Solo-Programm antreten kann. Die Jahre dazwischen sind der Kammermusik in unterschiedlichsten Konstellationen vorbehalten. Darüber hinaus hat sich der Wettbewerb auch Gebiete jenseits der Klassik erschlossen, angefangen mit der Popmusik.

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Jugend Musiziert: Vier junge Fagottisten verbeugen sich mit dem Rücken zum Publikum.
Jugend Musiziert  
Photo:  Erich Malter

„Das erste, was wir in dieser Richtung hatten, war die Kategorie Musical“, sagt Ulrich Rademacher. „Dann kamen Fächer wie E-Bass oder Percussion als Solo-Wettbewerb hinzu.“ Aktuell werde über eine Ausweitung des Angebots auf Bands nachgedacht, um wie bei den „klassischen“ Instrumenten auch hier den Gedanken des gemeinsamen Musizierens nachhaltig festzuschreiben. Parallel dazu rücken immer mehr Instrumente aus anderen Kulturkreisen in den Blick, die türkische Langhalslaute Bağlama etwa. „An deutschen Schulen in Istanbul, Kairo oder Alexandria kann man sogar Oud und andere Instrumente aus dem arabischen Raum auswählen. Nicht nur solo, auch Kammermusikkonstellationen sind möglich“, erklärt Rademacher. Anders als bei der Bağlama fehle es hier jedoch wegen der mangelnden Verbreitung auf Bundesebene noch an der Vergleichsmasse. Dass man auch hierfür bald eine Lösung gefunden haben wird, steht bei einem Wettbewerb, der möglichst viele junge Menschen erreichen möchte und daher bei aller Tradition immer wieder Platz für Neues schaffen muss, kaum in Frage. „Diese Themen halten uns wach und jung“, sagt Ulrich Rademacher. Von Verschleißerscheinungen ist bei der Mutter aller deutschen Musikwettbewerbe in der Tat nichts zu spüren.

Über den Autor

Stephan Schwarz-Peters arbeitet als freischaffender Journalist und Redakteur u. a. für das Tonhalle Magazin, die Philharmonie Köln sowie die Magazine Rondo und Oper!