Ein DJ auf Tournee ist jährlich für etwa 35 Tonnen CO2e verantwortlich – das sind mehr als dreimal so viel wie der durchschnittliche CO2-Fußabdruck pro Kopf in Deutschland und 35 mal mehr als das klimaverträgliche Jahresbudget von unter einer Tonne. Die Menschen in einem mittelgroßen Musikclub zum Tanzen zu bringen, verbraucht jährlich so viel Strom wie 33 Single-Haushalte, nämlich rund 30 Tonnen CO2 pro Jahr. Und bei einem großen Open-Air-Festival mit 100.000 Besuchern fallen schon mal rund 600 Tonnen Müll an. [1]
So groß der Genuss von Livemusik ist – für Umwelt und Klima haben Musikveranstaltungen erhebliche Auswirkungen. Nachdem die privatwirtschaftliche Veranstaltungsbranche darauf jahrzehntelang nur punktuell reagiert hat, stellen sich in jüngster Zeit mehr und mehr Soloselbständige, Musikclubs, Veranstaltungsstätten, Festivals und Livemusikveranstaltungen den Herausforderungen nach mehr Umwelt- und Klimaschutz. Dazu hat ein generelles politisches und gesellschaftliches Umdenken, wie es durch die Klimaschutzgesetzgebung der Bundesregierung und die Proteste von Fridays for Future zum Ausdruck kommt, ebenso beigetragen wie handfeste wirtschaftliche Sparzwänge, die durch die aktuelle Energiekrise ausgelöst worden sind.
Umdenken in den Verbänden
Mittlerweile sind ökologische Nachhaltigkeitsthemen bei den Spitzen der Musikwirtschaftsverbände angekommen. Bei den diesjährigen großen Branchentreffs bildeten sie einen festen Bestandteil der Debatte, sei es auf der Musikwirtschaftskonferenz, dem Hamburger Musikdialog oder dem Reeperbahn Festival, wo der jährliche Helga! Festival Award erstmals in der neu hinzugekommenen Wettbewerbskategorie „Grünste Wiese“ vergeben wurde. Bereits im Jahr zuvor war auf dem Hamburger Musikdialog beschlossen worden, in einem „Musik 2030 Prozess“ genannten Dialog konkrete Maßnahmen und Ziele der Musikwirtschaft zum Klimaschutz zu erarbeiten. Zu den Beteiligten zählen viele der bundesweit relevanten Verbände, darunter der Bundesverband der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft (BDKV), der Bundesverband Musikindustrie (BVMI), der Deutschen Musikverleger-Verband (DMV), die Live Musik Kommission (LiveKomm), die Society Of Music Merchants (SOMM) und der Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT).
Diese Verbände sind auch in den beiden großen Allianzen der Branche vertreten, dem Forum Veranstaltungswirtschaft und dem Forum Musikwirtschaft, die sich bereits 2021 zur Klimaverantwortung bekannten und dabei den Schulterschluss suchten. Sie richten den Blick auf die europäische Ebene und möchten die Ziele des Green Deals der Europäischen Union unterstützen, u. a. das Erreichen von Klimaneutralität bis 2050. Hier werden sie sich an den Konsultationsprozessen der EU beteiligen, die im Vorfeld neuer Gesetzgebungen zum Erreichen der Klimaziele durchgeführt werden.
Vorreiter und Status Quo
Das Bekenntnis der Verbände zu ökologischer Nachhaltigkeit darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ökologische Themen in der Veranstaltungspraxis bisher nur in geringem Maße eine Rolle spielen. Lange waren es nur einzelne Pioniere, die Klima- und Umweltverantwortung übernommen haben.
Bei den Festivals zählt das Tollwoodfestival zu den Vorreitern, ein Kultur- und Umweltfestival in München, bei dem ökologische Maßnahmen seit den Anfängen 1988 berücksichtigt wurden. [2] Seit den 1990er Jahren gibt es dort Mehrweggeschirr, seit 1997 ist ein Shuttle-Bus-Service im Einsatz. Das Melt!Festival ging bei der Mobilität 2010 noch einen Schritt weiter und charterte Liegewagen, in denen Besuchende klimaschonend zum Festival anreisen und vor Ort übernachten konnten. Auch bei den Veranstaltungsstätten gab es Leuchttürme: So wurde die Max-Schmeling-Halle in Berlin aufgrund ihres umweltgerechten Gebäudebetriebs als erste Multifunktionsarena 2010 mit dem Green Globe Zertifikat für Nachhaltigkeit ausgezeichnet. Und 2011 startete das Pilotprojekt Green Club Index als erstes nationales Projekt zum Thema Energieeffizienz und Energieeinsparungen im Clubbereich, um Klimaschutzpotenziale des Clubsektors zu erschließen. [3]
In der Breite zog die Veranstaltungsbranche nur langsam nach. Bei den Festivals nahmen sich in den 2010er Jahren die großen Player wie Hurricane, Southside, M’era Luna und Highfield des Themas an und kümmerten sich verstärkt um Müllvermeidung, Mülltrennung, eine Reduzierung des Strom- und Wasserverbrauchs, vegetarisches Essen und eine Anreise des Publikums mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Nach einer Umfrage, die das Festivalnetzwerk Höme 2022 im Rahmen des Branchentreffs Festival Playground unter 125 Festivals durchführte, haben heute rund zwei Drittel der Festivals das Thema Nachhaltigkeit im Blick; etwas mehr als die Hälfte teilt dafür nach eigenen Angaben auch ausreichend Kapazitäten ein. [4]
Dies kann allerdings weder vermeiden, dass bei zahlreichen Festivals nach wie vor Unmengen an Müll anfallen, noch, dass eine der größten Emissionsquellen, nämlich die Mobilität des Publikums, weiterhin einer Lösung entgegensieht. Eine Umfrage, die Höme bereits im Jahr zuvor, damals unter 37.000 Festivalbesuchenden durchführte, fand heraus, dass 83 Prozent der Fans mit dem Auto zu Festivals anreisen und nur 43 Prozent mit der Bahn (Mehrfachantworten waren möglich). [5]
Auch bei den Livemusikstätten steht das Thema Nachhaltigkeit erst am Anfang – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen. Hier bestimmen viele lokale und regionale Projekte und Initiativen die Szene, wie bspw. in Berlin, wo die Clubszene 2015 einen Leitfaden für grünes Clubbing und 2019 einen Code of Conduct für eine nachhaltige Clubkultur herausgegeben hat, der konkrete Ziele und Vorgaben u. a. zum Energiesparen und zur Vermeidung von Einweggeschirr enthält. Rund 50 Clubs in Berlin und anderen Städten haben sich den Zielen des Verhaltenskodex mittlerweile angeschlossen.
Die LiveKomm, der Bundesverband der Musikspielstätten, schätzt, dass sich etwa 15 Prozent seiner rund 660 Mitglieder um ökologische Nachhaltigkeit bemühen, darunter vor allem Veranstaltungsstätten mit soziokulturellen Zentren. Dabei nutzen viele Spielstätten die Fördergelder, die durch die Coronakrise ausgezahlt wurden, zur ökologischen Umgestaltung ihrer Betriebe, insbesondere für Dämmung und energiesparende Beleuchtung. Vor der Pandemie stand das Thema zwar auf der Agenda des Verbands, spielte in der Praxis jedoch nur in einzelnen Initiativen eine Rolle.
Dass die Veranstaltungsbranche bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen noch in den Anfängen steckt, ist auch die Einschätzung einzelner Branchenvertreter – und auf Einschätzungen ist man hier angewiesen, da valide Daten fehlen. Stefan Lohmann, Experte für Live Entertainment Konzepte und Nachhaltigkeit geht davon aus, dass aktuell nicht mehr als zehn Prozent der Veranstaltungen nachhaltig umgesetzt werden. Im Vordergrund stehen einzelne Leuchtturmprojekte. Auch Thomas Sakschewski, Professor für Veranstaltungsmanagement und -technik an der Berliner Hochschule für Technik und Sybil Franke, Geschäftsführerin Velomax Berlin, zu der die Max-Schmeling-Halle gehört, bestätigen, dass Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Branche weniger systematisch umgesetzt werden und von einzelnen Akteur*innen abhängen. Als Gründe sieht Franke u. a. den aktuell bestehenden Personalmangel sowie nicht ausreichende finanzielle und zeitliche Kapazitäten. Nur im Bereich Energie gehen die Entwicklungen schneller voran. Hier wirkt die aktuelle Energiekrise als Beschleuniger, da sich mit Energieeinsparungen Kosten senken lassen.
Seitens des Publikums wird eine stärkere Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen jedoch erwartet. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Plant a Seeed“, einem Kooperationsprojekt von der Nachhaltigkeitsagentur The Changency mit der Band Seeed und dem Studiengang Theater- und Veranstaltungstechnik und -management der Berliner Hochschule für Technik, zeigt, dass für rund 78 Prozent der Seeed-Konzertbesuchenden Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle im Leben spielt. [6] Die Festivalumfrage von Höme kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Knapp 70 Prozent der Fans sprechen sich dafür aus, dass sich Festivals zukünftig auf das Thema Nachhaltigkeit konzentrieren sollen.
Inwieweit zukünftig auch Künstler*innen Druck auf Veranstalter und Locations ausüben werden, wird sich zeigen. Über 6000 internationale Künstler*innen, Vertreter*innen oder Organisator*innen aus der Musikbranche haben eine Erklärung von Music Declares Emergency (MDE) unterzeichnet. MDE setzt sich für eine zukunftsfähige und klimafreundliche Musikbranche ein. Gleichzeitig richtet sie einen Appell an die Politik zu handeln und den CO2-Ausstoß bis 2030 auf Null zu senken. Teil der Erklärung ist ein Commitment des Musiksektors, die eigenen Treibhausgasemissionen zu reduzieren.
Leitfäden, Initiativen und Zertifizierungen
Um Nachhaltigkeitsmaßnahmen in der Veranstaltungsbranche voranzubringen, sind mittlerweile eine Vielzahl von Leitfäden und Checklisten erschienen, die Praxistipps für umweltverträgliche Open-Air-Festivals, Tourneen oder Clubs geben. Flankiert werden sie von branchenspezifischen Selbstverpflichtungen.
Zusätzlich haben sich Initiativen und Netzwerke gebildet, die Beratungen und Weiterbildungen anbieten, sei es mit Blick auf einzelne Teilbereiche der Branche oder an den gesamte Kulturbereich gerichtet. Eine besonders große Reichweite hat aktuell das 2020 gegründete und von der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) geförderte Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kultur und Medien, das Schulungen zum Thema Nachhaltigkeit anbietet und Akteure aus allen Kultursparten miteinander vernetzt. Auf bundespolitischer Ebene soll in Zukunft das im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Green Culture Desk die Rolle einer zentralen Anlaufstelle für die Kultur-, Kreativ- und Medienbranche übernehmen und Kompetenzen, Datenerfassung, Beratung und Ressourcen für die ökologische Transformation bündeln.
Daneben können Nachhaltigkeits- und Umweltmanagementsysteme zertifiziert werden. Einzelne internationale Normen sind die ISO 14001 für die Zertifizierung eines Umweltmanagementsystems, die ISO 20121 für ein nachhaltiges Veranstaltungsmanagement und EMAS als Umweltmanagement-Gütesiegel der Europäischen Union. Das Umweltzeichen „Blauer Engel“ des Umweltbundesamts wird derzeit gemeinsam mit dem Europäischen Verband der Veranstaltungs-Centren (EVVC) auf nachhaltige Veranstaltungen und Veranstaltungszentren erweitert, in Anlehnung an das Österreichische Umweltzeichen für Green Meeting und Green Events.[7] Als erstes Festival Deutschlands hat sich 2022 das Lollapalooza Festival nach DIN ISO 20121 zertifizieren lassen.
Zentrale Handlungsfelder der ökologischen Transformation
Zentrale Handlungsfelder, die von den Initiativen, Leitfäden und Zertifizierungen gleichermaßen benannt werden, liegen u. a. in den Bereichen Energie, Abfall, Mobilität, Catering und Naturschutz. Das Engagement in diesen Bereichen ist in der Musikbranche sehr unterschiedlich stark ausgeprägt. Viele Veranstalter*innen setzen auf konventionelle Lösungen, aber es gibt auch Leuchttürme.
So bezieht die Markthalle Hamburg ihre Energie aus Ökostrom, ein Schritt, den auch die Max-Schmeling-Halle in Berlin gegangen ist, die darüber hinaus eigene regenerative Energie produziert: Auf dem Dach der Veranstaltungslocation sind 1.064 Solarmodule installiert, die Ökostrom in das Berliner Stromnetz einspeisen. Zusätzlich spart die Location durch die Umstellung auf LEDs als energieeffiziente Lichttechnik etwa 60 Prozent ihres Energieverbrauchs.
Bei Festivals auf Grünflächen fehlt vielfach ein Anschluss ans feste Stromnetz. Eine Studie von Powerful Thinking ergab, dass auf Festivals in Großbritannien 2018 insgesamt sieben Millionen Liter Diesel verbraucht wurden[8] (Zahlen für Deutschland fehlen). Das energieautarke FUTUR 2 FESTIVAL macht vor, wie es dennoch funktionieren kann und verzichtet auf klimaschädliche Generatoren. Die Stromversorgung ist durch eine Solaranlage, Batteriespeicher und eine per Muskelkraft betriebene Bühne abgedeckt.
Das FUTUR 2 legt auch einen besonderen Fokus auf Abfallvermeidung und ressourcenschonende Beschaffung und setzt bei seinem Ziel, kreislauffähig zu sein, u. a. auf Mehrweggeschirr und ein Flyerverbot. So entstanden 2019 nur durchschnittlich 26 Gramm Abfall pro Besucher*in. Auch beim Projekt „Labor Tempelhof“ in Berlin, bei dem für drei Konzerte auf dem Tempelhofer Feld eine ressourcenschonende Infrastruktur aufgebaut wurde, wurden verschiedene Lösungen für eine Kreislaufwirtschaft erprobt. Lebensmittelreste und Speiseabfälle sowie kompostierbare Verpackungen wurden direkt auf dem Festivalgelände zu Rohkompost verarbeitet.
Beim Catering setzte das „Labor Tempelhof“ vor allem auf ein vegetarisches bzw. veganes Angebot[9] – ein Trend, dem viele Musikveranstaltungen folgen und Vegetarisches zumindest zusätzlich anbieten, weil dies verstärkt vom Publikum erwartet wird. Bei der Höme-Umfrage befürworteten knapp 29 Prozent ein fleischloses Gastronomie-Angebot – übrigens deutlich mehr Fans von Popfestivals als von Rock-, Metall- und Punkfestivals. Laut der Umfrage von Plant-A-Seeed kommt sogar für mehr als zwei Drittel der Konzertbesuchenden ein rein vegetarisches und für knapp die Hälfte auch ein rein veganes Angebot in Frage.
Eine Hauptquelle für Emissionen bei Musikveranstaltungen ist die An- und Abreise des Publikums. Viele Festivals kombinieren daher ihre Tickets mit der Nutzung des ÖPNV. Das „Labor Tempelhof“ setzte zusätzlich auf die Anfahrt per Rad und stellte dafür ein bewachtes Areal zum Abstellen von Rädern zur Verfügung – eine Maßnahme, die im innerstädtischen Berlin naturgemäß einfacher umzusetzen ist als in strukturschwachen ländlichen Gebieten. Wie dort PKW-Fahrten dennoch reduziert werden können, erprobte Rocken am Brocken, das jährlich nahe der Ortschaft Elend im Harz stattfindet. In der Annahme, dass viele Fahrten dem Einkauf von Lebensmitteln dienen, richtete das Festival 2019 zusammen mit Höme einen Bestellsupermarkt ein und konnte dadurch die An- und Abreise mit dem PKW messbar reduzieren. [10] Ein Ansatz, der Schule machen könnte, denn die Fanumfrage, die Höme zwei Jahre später durchführte, ergab, dass fast die Hälfte aller Festivalbesuchenden das Auto stehen lassen würden, wenn sie vor Ort einkaufen könnten.
Neben einer hohen CO2-Emission stellen Festivals, sofern sie auf nicht versiegelten Freiflächen stattfinden, auch eine hohe Belastung von Böden dar. Um dauerhafte Schäden zu vermeiden und eine landwirtschaftliche Doppelnutzung zu erlauben, hat die Hochschule Osnabrück 2010 bis 2014 Untersuchungen auf dem Gelände von Wacken Open Air durchgeführt und Empfehlungen für eine bessere Belastbarkeit und Nutzung der Flächen und Vermeidung von Schäden erarbeitet. [11]
Klimabilanzen
Zunehmend erheben Veranstaltungen und Konzertstätten Daten zu ihrem Ressourcenverbrauch und machen ihre eigenen Umwelt- und Klimaauswirkungen mess- und sichtbar. So überprüft das Modular Festival mit Hilfe einer CO2-Bilanz den Erfolg seiner Maßnahmen hinsichtlich selbst gesetzter Klimaziele und die Wirksamkeit seines Managementsystems und kommuniziert diese transparent über ihre eigene Website.
Eine systematische, übergreifende Datenerhebung des Musiksektors in Deutschland fehlt jedoch. Die Musikindustrie in Großbritannien hingegen erhebt seit 15 Jahren kontinuierlich Daten und Kennzahlen. Dahinter steht vor allem die Organisation Julie’s Bicycle, die außerdem seit 2012 als Partner des Arts Council England Kultureinrichtungen zum Klimaschutz berät. Sie macht Klima- und Umweltauswirkungen der Branche sichtbar. 2020 erschien erneut ein Bericht zu Umweltauswirkungen, Nachhaltigkeitserfolgen und Umfrageergebnissen der Festival- und Open-Air-Veranstaltungsbranche durch die Organisation Powerful Thinking mit Unterstützung von Julie’s Bicycle. Einzelne Ergebnisse aus der Umfrage zeigen: Etwa 65 Prozent der Veranstaltenden aus dem Festivalbereich in Großbritannien messen und adressieren ihre Klimaauswirkungen. [12]
Am britischen Vorbild orientierend, werden in Deutschland seit etwa zwei Jahren einzelne Pilotprojekte zur Klimabilanzierung durchgeführt. Diese liegen hauptsächlich im Kultursektor, darunter das Pilotprojekt „Klimabilanzen in Kulturinstitutionen“ der Kulturstiftung des Bundes. Das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit hat basierend auf Creative Green Tool von Julie’s Bicycle einen deutschsprachigen CO2-Rechner für die Kultur entwickelt.
Auf dem Weg zu einer ökologischen Transformation
Insgesamt lässt sich beobachten: Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Musikveranstaltungsbranche in Deutschland angekommen. Einzelne Pioniere übernehmen Klimaverantwortung und handeln. Einige von ihnen haben ein umfangreiches Nachhaltigkeitskonzept für ihre Veranstaltung oder ihre Location entwickelt, messen ihre Auswirkungen, haben ambitionierte Reduktionsziele. Andere setzen bisher nur einzelne Maßnahmen um oder adressieren einzelne Handlungsfelder. Trotz übergreifender Initiativen und Vorstöße der Verbände fehlt es jedoch an verbindlichen Reduktionszielen sowie an systematischen Datenerhebungen und Studien zu Umwelt- und Klimaauswirkungen.
An Ideen mangelt es nicht. Kommunen könnten Nachhaltigkeitsmaßnahmen als verbindliches Erlaubniskriterium für Veranstaltungen auf öffentlichen Flächen verlangen. Fördergelder könnten an Nachhaltigkeitskriterien oder verbindliche Nachweise für Nachhaltigkeitsmaßnahmen gekoppelt werden, wie ein durch EMAS zertifiziertes Umweltmanagementsystem. Bereits jetzt wirken Förderinstrumente wie die europäische MusicAIRE oder die Infrastrukturförderung der Initiative Musik als zentrale Fördereinrichtung der Bundesregierung für die deutsche Musikwirtschaft gezielt auf den Aufbau nachhaltiger und umweltfreundlicher Infrastrukturen.
Die Bewältigung der Klima- und Umweltkrise bedarf eines umfassenden Kulturwandels. Für die Musikbranche kann darin eine Chance liegen, den Wandel zu gestalten und Nachhaltigkeit erlebbar zu machen. Der privatwirtschaftliche Musikveranstaltungssektor kann so selbst zum Innovationstreiber werden, der zeigt, wie eine zukunftsfähige Kultur aussieht und das Publikum mit auf den Weg zu einer ökologischen Transformation nimmt.
Footnotes
Zum CO₂-Fußabdruck von DJs vgl. April Clare Welsh: What's the music industry doing about climate change, 2021. Online unter: https://theface.com/music/music-industry-climate-change-touring-cop26-vinyl-carbon-emissions-nfts-festivals-streaming-the-1975-massive-attack-billie-eilish-coldplay-olivia-rodrigo (Zugriff: 3. November 2022). Zur Treibhausgasemission pro Kopf in Deutschland vgl. Umweltbundesamt: Wie hoch sind die Treibhausgasemissionen pro Person in Deutschland durchschnittlich, 2021. Online unter: https://www.umweltbundesamt.de/service/uba-fragen/wie-hoch-sind-die-treibhausgasemissionen-pro-person (Zugriff: 4. November 2022). Zum CO₂-Verbrauch von Clubs vgl. Clubtopia 2021: Green Club Guide. S. 1. Online unter: https://clubtopia.de/wp-content/uploads/2022/01/greenclubguide1920x1080.pdf (Zugriff: 4. November 2022). Zum Müllaufkommen von Festivals vgl. Holger Hübner: Nachhaltigkeit auf dem Wacken Open Air – Save the Holy Land!, in: Markus Große Ophoff (Hrsg.): Nachhaltiges Veranstaltungsmanagement. Green Meetings als Zukunftsprojekt für die Veranstaltungsbranche. München 2016, S. 195–204. Online unter: https://www.oekom.de/_files_media/titel/leseproben/9783865817839.pdf (Zugriff: 4. November 2022).
Vgl. Tollwood. Das Kulturfestival. Ein Festival für Mensch und Umwelt, o. J. Online unter: https://www.tollwood.de/wp-content/uploads/2018/02/tollwood_umweltbroschuere_stand_20022018.pdf (Zugriff: 4. November 2022).
Vgl. Green Club Index. Online unter: http://www.greenclubindex.de (Zugriff: 20. Oktober 2022).
Zum Festival Playground vgl. https://www.festivalplayground.com (Zugriff: 21. Oktober 2022). Die Daten der Festivalumfrage stellte Höme auf Anfrage für diesen Beitrag zur Verfügung.
Vgl. die Präsentation der Ergebnisse der Fanumfrage unter https://www.youtube.com/watch?v=UXnDA8bic9A (Zugriff: 21. Oktober 2022). Die Daten der Fanumfrage stellte Höme auf Anfrage für diesen Beitrag zur Verfügung.
Vgl. Studienergebnisse des Forschungsprojekts "Plant a Seeed", 2022. Online unter: https://www.promedianews.de/business/studienergebnissen-des-forschungsprojekts-plant-a-seeed (Zugriff: 20. Oktober 2022).
Vgl. EVVC an neuem Umweltzeichen „Blauer Engel“ für nachhaltige Veranstaltungen beteiligt. Online unter: https://evvc.org/article/evvc-neuem-umweltzeichen-blauer-engel-fuer-nachhaltige-veranstaltungen-beteiligt (Zugriff: 3. November 2022).
Vgl. Powerful Thinking (2020): The Show Must Go On. Environmental impact report for the UK festival and outdoor event industry 2020 Update, S. 2. Online unter: https://www.vision2025.org.uk/wp-content/uploads/2021/06/SMGO_Report_2020_Update.pdf (Zugriff: 4. November 2022).
Vgl. Labor Tempelhof: Vom Tisch in den Garten, o. J. Online unter: https://labor-tempelhof.org/vom-tisch-in-den-garten (Zugriff: 4. November 2022).
Vgl. die Präsentation der Ergebnisse der Fanumfrage von Höme unter https://www.youtube.com/watch?v=UXnDA8bic9A (Zugriff: 15. November 2022).
Mathias Günther (u.a.): Bericht zur Untersuchung vegetationskundlicher Dauerflächen zur Verbesserung der Bodenverhältnisse und Vermeidung von Vegetationsschäden bei Großveranstaltungen auf landwirtschaftlichen Flächen, Hochschule Osnabrück, 2014. Online unter: https://www.hs-osnabrueck.de/fileadmin/HSOS/Homepages/Grossveranstaltungen-auf-landwirtschaftlichen-Flaechen/Abschlussbericht_30.07.2014.pdf (Zugriff: 29. November 2022).
Vgl. Powerful Thinking: The Show Must Go On. Environmental impact report for the UK festival and outdoor event industry, 2020 Update, S. 19. Online unter: https://www.vision2025.org.uk/wp-content/uploads/2021/06/SMGO_Report_2020_Update.pdf (Zugriff: 4. November 2022).