Unter dem Motto "Wir verschaffen uns Gehör!“ gingen am Freitagnachmittag, 14. August 2020, an mehr als zehn verschiedenen Orten der Stadt gut 20 Chöre, Orchester, Bands und Ensembles für diese Aktion auf die Straße bzw. nach draußen und musizierten. Damit brachten sie nicht nur ihre Freude an der Musik zum Ausdruck, sondern konnten auch auf ihre prekäre Situation in der aktuellen Corona-Pandemie aufmerksam machen. In den letzten Wochen wurden in Hamburg Lockerungen der Corona-Verordnungen, nach fast dreimonatigem Shut-Down, durchgesetzt.
Das gemeinschaftliche Musizieren ist nach wie vor beeinträchtigt und läuft vor allem für größere Ensembles, Chöre und Orchester nur langsam wieder an– es fehlt an Platz, Raum und passenden Auftrittsorten. Die Pandemie und die damit verbundene Angst vor Ansteckung erschweren das gemeinschaftliche Musizieren zusätzlich. Die Ensembles drohen auseinanderzufallen. Die Amateurmusikszene, eine der größten zivilgesellschaftlichen Bewegungen in Deutschland mit großem ehrenamtlichen Engagement, möchte in Hamburg trotzdem positiv in die Zukunft blicken und wieder regulär musizieren können. Und was jetzt im Sommer noch als Straßenmusik und an frischer Luft möglich ist, wird wohl mit dem Anfang des Herbstes wieder vorbei sein. "Insbesondere Sänger*innen und Bläser*innen sind hart getroffen, da durch ihre Aerosol-Ausstöße ein größerer Abstand von mindestens 2,5 Metern in geschlossenen Räumen wünschenswert ist“, so Doris Vetter, Präsidiumsbeauftragte für das Chorwesen im Landesmusikrat Hamburg. "Das erfordert aber z.B. bei einem Ensemble von etwa 30 Musizierenden einen Raum von mehr als 150 Quadratmetern! Viele betroffene Chöre, Orchester, und Ensembles, die meist weit mehr als 50 Mitwirkenden können deswegen ihre bisherigen Proberäume in voller Besetzung nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt nutzen“, erklärt Thomas Prisching, Geschäftsführer des Hamburger Landesmusikrates. "Und da allein bei uns mehr als 100.000 Amateurmusiker*innen über Mitgliedsorganisationen vertreten sind, kann man sich vorstellen, was dies alleine an Organisationskraft braucht, um nur halbwegs die Arbeit der Ensembles am Leben zu halten!“
Daher ist der Aktionstag für viele Amateurmusiker*innen nicht nur ein Tag des lange ersehnten Wiedersehens, sondern er will auch das Augenmerk auf die Probleme in der Musikszene lenken, die es abseits der großen Schlagzeilen über geschlossene Kulturbetriebe und ausgefallene Konzerte gibt. "Jetzt sind wir personell und auch mit all unseren Ehrenamtlichen am Limit des Leistbaren und versuchen dennoch, jede freie Turn-oder Lagerhalle, ungenutzte Lager oder Seminarräume aufzutun, um das musikalische Leben der Stadt Hamburg aufrecht zu erhalten“, so der Vizepräsident des Verbandes, Matthias Rieger.
Gefragt sind alle Bürger*innen der Stadt, denen leere Gebäude, Hallen und große Räume bekannt sind, die an den Landesmusikrat unter rudat@lmr-hh.dezu melden, um den betroffenen Chören, Orchester und Ensembles zu helfen. "Kommerzielle Mieten sind allerdings für die Betroffenen nicht leistbar“, so Rieger, "aber wir arbeiten mit Hochdruck daran, andere kreative Lösungen zu finden,wie z. B. die Übernahme von Patenschaften für Hamburger Ensembles durch Hamburger Unternehmen
Landesmusikrat Hamburg
Wie alle anderen Länder Deutschlands verfügt auch Hamburg über einen Landesmusikrat, der 1978 gegründet wurde. Als Dachverband vertritt er in erster Linie rund 90 musikbezogenen Verbände, Organisationen und Institutionen mit mehr als 2.000 Orchester/Ensembles/Bands und mehr als 1.000 Chöre aller Genres und Professionalisierungsgrade. Er übernimmt als Dachverband gesellschaftliche Mitverantwortung für das kulturelle Leben und setzt sich damit für den Erhalt und dieWeiterent-wicklung der Musikkultur in all ihren Erscheinungsformen ein. Dabei fördert er das musikalische Erbe, das aktuelle Musikschaffen sowie den Dialog der Kulturen im Sinne der UNESCO Konvention Kulturelle Vielfalt.
Sein besonderes Augenmerk gilt u.a. der Förderung der Amateurmusik sowie des Nachwuchses. Gemeinhin wird Amateurmusik mit mehr als 200.000 Akteur*innen in Hamburg gerne belächelt, ist aber kein Ausdruck minderqualitativer Arbeit, sondern lediglich eine Abgrenzung zur sonst beruflich, professionell orientierten Musik. Beispielhaft stehen dafür das Landesjugendjazzorchester Hamburg, das Landesjugendorchester Hamburg, das Landesjugendauswahlorchester der Spielmannszüge sowie Chöre, Orchester und Ensembles unserer Mitglieder, die zu Recht als "Kinderstube der Starsvon morgen“ bezeichnet werden können.
Chöre, Orchester, Ensembles, Bigbands oder Spielmannszüge jeder "couleur“ sorgen über die Musik für die kulturelle Förderung der Stadt Hamburg als Musikmetropole und generieren das fachkundige Publikum jeglicher Konzerte. Die prägende Kraft der Musik, die in ihrer Breiten-und Tiefenwirkung mit keiner der anderen Künste vergleichbar ist, berührt den Menschen in all seinen Sinnen und seinem Vermögen. Musik machen und Musik erleben sind zentraler Bestandteil einer ganzheitlichen Menschenbildung. Musikalische Praxis ist Teil unserer Verständigung über Kultur. Deshalb ist die Freiheit der Kunst und ihrer Lehre in Art. 5 GG geschützt. Auf dieser Grundlage wenden wir uns gegen den Missbrauch der Musik, der Rassismus und Gewaltverherrlichung zum Ziel hat.
Der Landesmusikrat ist bindendes Glied zwischen den Partikularinteressen und unterstützt ehrenamtliches Engagement. So hilft er bei den Ensembleleiter*innen, bei der Suche nach Proberäumen, bei (vereins-)rechtlichen Fragenoder in Sachen Fortbildung. Die Nachwuchsförderung wird explizit durch die Austragung von Wettbewerben wie " Jugend jazzt“ sowie den daraus resultierenden Teilnahmen an den Landesauswahlensemblespraktiziert. Die Arbeit des Landesmusikrates ist also Breiten-, Struktur-wie Spitzenförderung zugleich.Leider verfügt der Landesmusikrat nicht über die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen."Aber es gibt einen Lichtstreif am Horizont“, so Matthias Rieger. "Die Politik hat in der Koalitionsvereinbarung erstmalig den Bereich Amateurmusik aufgegriffen und wird zusammen mit dem Landesmusikrat ein Konzept für die Amateurmusik in Hamburg erstellen. Unsere Hoffnung ist, dass damit auch endlich eine adäquate Unterstützung des LMR verbunden ist.