Die Deutsche Jazzunion richtet angesichts der drohenden Kürzungen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen offenen Brief an die Rundfunkräte und Intendanzen der Rundfunkanstalten und lädt zum Mitzeichnen ein.
In dem Schreiben, das ab sofort unter www.deutsche-jazzunion.de/kein-rundfunk-ohne-jazz von Institutionen und Einzelpersonen mitgezeichnet werden kann, heißt es:
„Trotz der immensen Bedeutung von Jazz in Deutschland und dem klaren Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks plant die ARD, den Jazz von einem ohnehin schon ungenügenden und reduzierten Niveau weiter stark einzukürzen. Dagegen richtet sich dieser offene Brief, der zum Unterzeichnen und Weiterverbreiten einladen soll.
Wir fordern: Keine Zusammenlegung von Sendestrecken im Abendprogramm, kein Abbau des täglichen Jazzangebots in den öffentlich-rechtlichen Kulturwellen – weder in den linearen Radioprogrammen noch in den digitalen Angeboten.
Im Gegenteil: Wir fordern eine erkennbare Stärkung des Jazz in der ARD und Rücknahme bereits erfolgter Kürzungen!
Eigentlich hätten wir alle im Oktober 2023 einen Grund zum Feiern: 100 Jahre Radio. Das sind auch 100 Jahre Jazz im Radio. Doch ausgerechnet jetzt will die ARD ihre Kulturwellen im Abendprogramm zusammenlegen. Davon wären die Jazzprogramme besonders stark betroffen, mit katastrophalen Folgen nicht nur für die Hörer*innen, sondern auch für das gesamte Genre, die vielen regionalen Szenen in Deutschland und für die einzelnen Musiker*innen.
Jeder Verlust von Airplay – von produzierter Musik wie von Konzert- und Festivalaufzeichnungen – bedeutet nicht zuletzt auch einen spürbaren wirtschaftlichen Verlust für die Musikschaffenden.
Darüber hinaus ist Jazz eine Kulturform, die längst zu einem wichtigen kulturellen Teil Deutschlands geworden ist – die gesellschaftlich mehr gebraucht wird denn je. Jazz steht für Integration, Selbstermächtigung, die Sicht- und Hörbarkeit von Minoritäten, Diversität, den grenzüberschreitenden kulturellen Austausch, das kollektive Miteinander und die individuelle Freiheit des Ausdrucks.
Dies alles hat gerade in unserer Zeit eine große gesellschaftliche Relevanz. Trotzdem besteht seit einigen Jahren in den Kulturwellen der ARD die Tendenz, den Jazz zu marginalisieren. In einigen Landesrundfunkanstalten findet der Jazz im Moment nur noch als Randerscheinung statt. Als eines der jüngeren Beispiele hat im RBB ein erster Kahlschlag bereits die Jazzredaktion getroffen: Im Moment existiert sie nicht - und das in Berlin, einer der besonders vielfältigen und weltweit beachteten Jazz-Metropolen!
Der großen Bedeutung des Jazz für die Kulturszene in Berlin sollte in einem Programm wie dem RBB wieder Rechnung getragen werden. Und analog sollte auch in Zentren wie Hamburg, München, Köln, Leipzig oder so lebendigen Jazzstädten wie Bremen in eigenen Sendungen der Landesrundfunkanstalten diese hoch-integrative und diverse Musikform ihren angestammten Platz behalten oder wiederfinden.
Dass es jetzt innerhalb der Kulturwellen auch noch zu Zusammenlegungen der ohnehin nur wenigen Jazzstrecken kommen soll, darf nicht toleriert werden.
Im föderalen System der Bundesrepublik haben die neun Landesrundfunkanstalten der ARD laut Rundfunkstaatsvertrag den Auftrag, „durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.“
Mit ihren Jazzprogrammen kann die ARD geradezu vorbildlich diesem Auftrag gerecht werden, indem sie
- mit Expertise in ihren kuratierten Programmen Menschen an Jazz heranführt
- durch die Vielfalt ihrer Programme die Vielfalt der Jazz-Szenen abbildet (international, national, regional und lokal)
- durch ihre unabhängigen journalistische Leistungen – ohne kommerziellen Druck – Jazz und die damit verbundenen gesellschaftlich bedeutsamen Themen verhandelt (Diversität, Gleichstellung, Migration, Diskriminierung etc.)
- mit täglichen Konzerthinweisen eine elementare Brückenfunktion zwischen Publikum, Clubs und Musiker*innen einnimmt
- durch Portraits, Interviews, Konzertmitschnitte die jungen, kreativen Szenen fördert und ihnen professionelle Impulse gibt
- durch die Veranstaltung von Konzerten, Übertragungen und Mitschnitten von Festivals Jazz als Liveerlebnis erfahrbar macht
In allen Bereichen haben die öffentlich-rechtlichen Jazzprogramme ein klares Alleinstellungsmerkmal: Es gibt in der Radiolandschaft keine Konkurrenz durch privatwirtschaftliche Anbieter; Streamingdienste ersetzen nicht die persönlich kuratierte, journalistisch aufbereitete Vermittlung von Jazz.
Es besteht kein erkennbarer Grund, die Kulturangebote der ARD zu reduzieren. Anstatt in demonstrativen Aktionismus zu verfallen, sollte die ARD ihren Auftrag ernst nehmen und erfüllen.
Deshalb fordern wir: Kein Abbau des täglichen Jazzangebots in den öffentlich-rechtlichen Kulturwellen – weder in den linearen Radioprogrammen noch in den digitalen Angeboten, keine Reduzierung des Sendevolumens, von Konzert- und Festivalmitschnitten, von Autor*innensendungen sowie von regionaler Berichterstattung!
Im Gegenteil: Wir fordern eine erkennbare Stärkung des Jazz in der ARD und Rücknahme bereits erfolgter Kürzungen!"