Mit einem für Ohren und Augen gleichermaßen attraktiven Programm startet am 1. November 2017 die fünfte Ausgabe der »Greatest Hits«, des Festivals für Zeitgenössische Musik in Hamburg, das Elbphilharmonie, Kampnagel und NDR das neue werk jeweils im Herbst gemeinsam veranstalten. Das Programm widmet diesmal Werk und Wirken von drei Komponisten besondere Aufmerksamkeit: Peter Eötvös, in dieser Saison Composer in Residence bei der Elbphilharmonie, Gérard Grisey, dem Godfather of Spectral music aus Frankreich, und dem eigenbrötlerischen Klangtüftler und Instrumentenbauer Harry Partch aus den USA. Die Konzerte finden auf Kampnagel statt und am letzten Tag (4. November) erstmals auch in der Elbphilharmonie.
Peter Eötvös, einer der bedeutendsten und meistaufgeführten zeitgenössischen Komponisten, ist in Hamburg insbesondere durch seine Opern »Tri Sestri« (2000), »Angels In America« (2005) und »Senza sangue« (2016) bekannt geworden, wobei er letztere auch selbst in der Staatsoper dirigierte. Bei »Greatest Hits« gestaltet Eötvös mit dem Klangforum Wien das Eröffnungskonzert mit ausschließlich eigenen Werken. Deren gewichtigstes ist »Chinese Opera« (1986), das dem Abend seinen Namen gibt. Anders als der Titel es vermuten lässt, kommt das für 42 Orchestersolisten besetzte Stück komplett ohne Gesang aus. Im ersten Teil des Abends erklingen »Shadows« (1996) mit solistischer Flöte und Klarinette sowie Live-Elektronik und die »Sonata per sei« (2006) für zwei Klaviere, drei Perkussionisten und einen Sampler (1. November, K6, 20 Uhr).
Flankiert wird der Abend von einer äußerst charmanten Installation des Klangforschungsinstituts Tempo Reale aus Florenz, das in Aufgaben und Zielsetzung dem IRCAM in Paris vergleichbar ist. »Symphony Device. Sound Theatre for Machines« heißt die live nur von einigen Klangregisseuren überwachte Performance, bei der schon recht betagte Alltagsgegenstände ein musikalisch-konzertantes Eigenleben entfalten – vom Bakelit-Telefonapparat mit mechanischer Wählscheibe über eine elektrische Kaffeemühle, einen Schwingschleifer und mehrere Nadeldrucker bis zur Höhensonne (18.30 und 22.30 Uhr).
Im Klanguniversum von Harry Partch (1901 – 1974), dem großen musikalischen Einzelgänger und Visionär eines anderen Hörens, gliederte sich die Oktave nicht in zwölf, sondern in 43 Teiltöne. Um die hörbar zu machen, baute sich Partch zwangsläufig eigene Instrumente. Das Ensemble Musikfabrik aus Köln hat einige von ihnen nachgebaut und präsentiert am 2. November (K 2, 20 Uhr) mit »Ring Around The Moon – A Dance Fantasm for Here and Now« ein Partch-Werk, das der Überlieferung zufolge in einer Vorform noch den hübschen Namen »Sonata Dementia« getragen haben soll. Das Ensemble bringt auch je eine Komposition der beiden Gegenwarts-Klangtüftler Simon Steen-Andersen (Dänemark) und Helge Sten (Norwegen) mit. Im zweiten Teil des Konzerts widmet es sich der »Monophonie« von Phillip Sollmann. Das etwa einstündige Werk verwendet Partch-Instrumente sowie weitere klingende Exotica wie Doppel-Sirene, Klangstück oder Boo. Das Stück Phillip Sollmanns, der unter dem Namen DJ Efdemin eine bemerkenswerte Parallelexistenz führt, wurde zuletzt mit großem Erfolg mehrfach bei der Ruhrtriennale 2017 aufgeführt.
Neue Musik aus Hamburg und von Hamburger Interpreten steht am dritten Festivaltag im Zentrum. Zunächst präsentieren Schüler bei der »Klangwelle« die Ergebnisse ihrer Kompositionsarbeit (kmh, 17 Uhr). Anschließend singt der NDR Chor unter der Leitung von Philipp Ahmann ein zwischen Bach und Stockhausen changierendes Programm, das bei zwei Stücken von Maurizio Kagel zudem die Mitwirkung eines Orgelpositivs und eines Baritonsaxofons verlangt (K 6, 18.30 Uhr). Zum Composer Slam ruft dann Simon Kluth, der den edlen Wettstreit um die coolste, publikumswirksamste Neue Musik des Abends auch moderiert (kmh, 20 Uhr). Nachtschwärmern empfiehlt sich anschließend der Besuch der K2, wo das Ensemble Musikfabrik Phillip Sollmanns »Monophonie« ein zweites Mal zur Aufführung bringt.
Zur ausführlichen Feier der Musik des früh verstorbenen französischen Komponisten Gérard Grisey (1946 – 1998) ziehen die »Greatest Hits« am 4. November in die Elbphilharmonie um. Ein Grisey-Präludium gestalten die Trommelkünstler von ElbtonalPercussion bereits am 2. November auf Kampnagel, wo Griseys »Tempus ex machina« auf dem Programm steht (K4, 18.30 Uhr), So richtig eintauchen in die Spektralfarben der Musik à la Grisey kann man dann zum Finale. So hat das Ensemble Resonanz unter der Leitung von Emilio Pomárico neben Werken der beiden Italiener Giacinto Scelsi und Pierluigi Billone auch Griseys Quintett »Talea« vorbereitet (Kleiner Saal, 18 Uhr). Das unbestrittene Kernstück unter den Orchesterwerken des einflussreichsten Komponisten des Spektralismus aber ist »Les espaces acoustiques«: Wie geschaffen für den Großen Saal der Elbphilharmonie, fächert sich hier peu à peu der mikrotonale Klangkosmos in seiner ganzen schillernden Pracht auf, vom Bratschensolo zu Beginn über die vollräumliche Orchestertextur bis zurück ins Kammermusikalische. Es spielt das NDR Elbphilharmonie Orchester unter der Leitung von Stefan Asbury. Zu später Stunde schließlich zelebrieren das Ensemble Aisthesis und Sophia Burgos (Sopran) Griseys letzte vollendete Komposition, die »Quatre chants pour franchir le seuil«, bei denen der Komponist das Zeit seines kurzen Lebens erprobte Schwellenübergangserlebnis vom rein Musikalischen im Hegelschen Sinne ins Metaphysische aufzuheben scheint. Schöner, inniger, bedeutsamer könnte die Hommage der »Greatest Hits« an Gérard Grisey kaum enden (Kleiner Saal, 22.30 Uhr).
Tagespass Mi, 1.11.: 30 EUR, Tagespass Do, 2.11.: 30 EUR, Tagespass Fr, 3.11.: 40 EUR.
Kombi-Angebot für Sa, 4.11.: Beim Kauf eines Tickets für das Konzert im Großen Saal kann ein Zusatzticket für die Konzerte im Kleinen Saal für je 10 EUR erworben werden. Einzelkarten 9 bis 42 EUR.