Bedeutende Archive, altehrwürdige Bibliotheken und großartige Museen gibt es im traditionsreichen Kulturland Thüringen wahrlich viele. Während nicht wenige von ihnen in ihrer Geschichte viele Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte zurückblicken können, gibt es auch Einrichtungen, die vergleichsweise jugendlich erscheinen. Zu diesen gehört das Archiv der Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar, das vor 25 Jahren, im Oktober 1995, durch Senatsbeschluss gegründet worden ist. Seit dem Jahr 2001 firmiert das Archiv außerdem als Thüringisches Landesmusikarchiv.
Mit der Aufnahme der für Hochschul- und Universitätsarchive typischen Aufgaben als Zwischen- und Endarchiv für das hochschulinterne Schriftgut wäre die nunmehr 25-jährige Geschichte des Archivs eigentlich bereits hinreichend erzählt. Doch in der Rückschau erweist sich diese Archivgründung als ein Startschuss für eine höchst bemerkenswerte Weiterentwicklung: Der Auslöser hierzu waren verschiedene wertvolle musikalische Sammlungen (u.a.: Thüringer Volksliedsammlung und die Buchenwald-Sammlung) und zahlreiche Nachlässe, die an dem bereits 1951 an der Weimarer Musikhochschule gegründeten Institut für Volksmusikforschung im Laufe vieler Jahrzehnte zusammengetragen worden waren.
Sie waren zwar in ihrem wissenschaftlichen Wert anerkannt, durch die 1994 erfolgte Auflösung dieses Instituts aber in ihrer Existenz keineswegs gesichert. Dies galt auch für das kaum benutzbare historische Notenarchiv des von Franz Liszt, Franz Brendel und Louis Köhler im August 1861 in Weimar gegründeten Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV) sowie für das umfangreiche Schall- und Filmarchiv, das mit seinen bis in die Vorkriegszeit zurückreichenden Tonband- und Filmrollen zum Opfer des technischen Wandels zu werden drohte.
Mit der Übernahme in das neue gegründete Hochschularchiv erhielten diese Bestände quasi eine neue Heimat; für das Archiv selbst entwickelte sich aus diesem Kern aber eine zusätzliche Funktion, die weit über die eines gewöhnlichen Hochschularchivs hinausgeht. Denn mit einem wegweisenden Erlass aus dem damaligen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst eröffnete sich am 1. Mai 2001 die Möglichkeit, gefährdete Musikbestände, die für die reiche Musikkultur Thüringens von Bedeutung sind, aufzunehmen und fachlich zu betreuen.
Im selben Jahr erfolgte der Umzug des Archivs in das Hochschulzentrum am Horn (Carl-Alexander-Platz 1), wo mit den neuen, bereits mit einer Löschgasanlage ausgestatteten Klimamagazinen die idealen Voraussetzungen geschaffen worden waren, der neuen Aufgabe als "Thüringisches Landesmusikarchiv“ gerecht werden zu können.
Bereits im Juni 2002 erfolgte der Abschluss eines Rahmenvertrages zwischen der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und der damaligen Evangelisch-Lutherischen Kirche Thüringen zur Rettung, Erhaltung und Nutzung der sogenannten "Thüringer Adjuvantenarchive“. Auf dieser Basis konnten seitdem in enger Zusammenarbeit mit dem Landeskirchenarchiv Eisenach viele wertvolle, teils bis in das 16. Jahrhundert zurückreichende Notensammlungen aus Kirchengemeinden in ganz Thüringen als Depositum übergeben werden, die nicht nur konservatorisch behandelt und neu gelagert, sondern auch für das Internationale Quellenlexikon der Musik RISM wissenschaftlich erfasst wurden.
Zu den wichtigen Depositalbeständen im Hochschularchiv | Thüringischen Landesmusikarchiv Weimar gehört auch das historische Notenarchiv des Deutschen Nationaltheaters Weimar, das lange Zeit als verschollen galt und 2004 übernommen werden konnte. Darin zu finden sind nicht nur die originalen Aufführungsmaterialien der Schauspielmusiken zu Goethes "Faust“ oder Schillers "Wilhelm Tell“, die Partitur der "Zauberflöten“-Inszenierung unter Goethes Regie, das Uraufführungsmaterial zu Richard Wagners "Lohengrin“, zu Camille Saint-Saëns "Samson und Dalilah“ oder zu Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel“, sondern auch handschriftliche Partituren, Souffleur-Bücher, Orchester- und Gesangsstimmen vieler anderer Opernaufführungen, die Weimar besonders im 19. Jahrhundert zu einer der wichtigen Opernstädte in Europa machte.
Die Funktion als ein auf Musik fokussiertes Spezialarchiv hat in den zurückliegenden Jahren des Weiteren dazu geführt, dass sogar Fremdbestände im Rahmen von Drittmittel-Projekten bearbeitet werden konnten und nach Abschluss der Arbeiten wieder zurückgeführt wurden. Dazu gehört u.a. die Sammlung der Hofkapelle Sondershausen (Schlossmuseum Sondershausen/Staatsarchiv Rudolfstadt, DFG) und Teile der Musiksammlung der Forschungsbibliothek Gotha (Schloss Friedenstein).
In jüngster Zeit strahlen die Aktivitäten des an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar verankerten Instituts für Musikwissenschaft Weimar-Jena verstärkt auf die Arbeit des Hochschularchivs | Thüringischen Landesmusikarchivs Weimar aus: Mit dem Lehrstuhl für Jazz und Populäre Musik (Prof. Dr. Martin Pfleiderer) ist das Archiv eingebunden in die Tätigkeit des Internationalen Jazz-Archivs Eisenach (Lippmann- und Rau-Stiftung). Durch den UNESCO-Lehrstuhl für Transcultural Music Studies (Prof. Dr. Tiago de Oliveira Pinto) wird die musikarchivische Expertise des Archivs selbst für Projekte in Afghanistan (Radio Television Afghanistan, Kabul) oder Südafrika angefragt.
Das Hochschularchiv | Thüringische Landesmusikarchiv Weimar hat sich in den letzten 25 Jahren tatsächlich zu einer großen "Musikschatzkammer Thüringens“ von überregionaler Strahlkraft entwickelt. Als ein wissenschaftliches Zentrum der Weimarer Musikhochschule ist es auf ideale Weise eingebunden in ein eng aufeinander eingespieltes Netzwerk von Musikforschung und Musikpraxis, das in Deutschland ohne Vergleich ist. Im Zeichen einer sich zunehmend auf digitale Inhalte fokussierende Welt wird es für die Zukunft eine große Herausforderung und ein Ansporn sein, einerseits weiterhin die Aufgaben als klassisches Hochschularchiv zu erfüllen, andererseits mit seinen reichen Beständen das Wissen um die jahrhundertealte Thüringer und Mitteldeutsche Musik- und Kulturgeschichte zu bewahren und zugleich auch den weiten Blick auf die Musikkulturen der Welt zu ermöglichen.