Das Brahms-Institut an der Musikhochschule Lübeck (MHL) hat einen bisher unveröffentlichten Brief von Johannes Brahms erworben. Das wertvolle Schreiben an die Sängerin Maria Schmidt tauchte in einem amerikanischen Antiquariat auf.
Den dreiseitigen, bislang unveröffentlichten Brief schreibt der damals 35-jährige Brahms am 14. Oktober 1868 an die renommierte Zürcher Sängerin Maria Schmidt. Er gratuliert ihr darin zur Hochzeit mit dem Komponisten und Pianisten Theodor Kirchner. Brahms war an der Verbindung des Künstlerpaares nicht unbeteiligt: Er hatte die Primadonna des Zürcher Theaters mit Kirchner bekannt gemacht.
Professor Wolfgang Sandberger, Leiter des Brahms-Instituts an der MHL: "Der Brief fügt sich perfekt in unsere Sammlung, die ja auch einen Teilnachlass von Theodor Kirchner umfasst. Das Schreiben zeigt, wie virtuos der immer wieder als schreibfaul dargestellte Brahms die Gattung Brief in Wirklichkeit beherrschte“. Mit seiner Briefanrede nimmt der Komponist die bevorstehende Eheschließung, die am 15. Oktober 1868 in der Neumünsterkirche in Zürich-Riesau vollzogen wurde, spielerisch vorweg: "Sehr geehrtes Fräulein, (lies: gnädige Frau)“. Weiter schreibt er scherzhaft, dass sich "oben angedeutete Metamorphose grade zwischen Schreiben und Lesen“ vollziehe. Doch die Post funktioniert nicht zuverlässig: Der Brief erreicht die Sängerin nicht und wird an Brahms zurückgeschickt. Vier Monate später, im Februar 1869, sendet der Komponist sein Schreiben erneut nach Zürich, ergänzt durch weitere Zeilen an den Ehemann Theodor Kirchner, mit dem er freundschaftlich verbunden war.
Kirchner verlobte sich im Juni 1868, für Brahms und viele Freunde überraschend, mit der jungen und bildhübschen Sängerin. In einem Brief an Mathilde Wesendonck, Schriftstellerin und Muse Richard Wagners, bekennt Kirchner: "Es bleibt mir nichts anderes übrig, um wenigstens nach einer Seite hin aus einer peinlichen Situation befreit zu werden.“
Über Theodor Kirchners letzten Schüler Conrad Hanns gelangte ein bedeutender Teilnachlass Kirchners in die Sammlung Hofmann und 1991 damit in die Sammlung des Brahms-Instituts an der MHL. Dazu zählen 36 Musikautografe, mehrere hundert Skizzenblätter und Entwürfe, die umfangreiche Sammlung der Erst- und Frühdrucke seiner Werke sowie zahlreiche Schriftstücke und Lebensdokumente. Die umfangreichen Materialien zu Leben und Werk Kirchners sind in digitaler Form über die Website des Instituts unter www.brahms-institut.de abrufbar. Der Brief, der Dank Unterstützung des Vereins zur Förderung des Brahms-Instituts Lübeck erworben werden konnte, ergänzt nun den wertvollen Bestand.
Der Brief ist ebenfalls verzeichnet im von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Brahms-Briefwechsel-Verzeichnis (BBV), das auf der Website des Brahms-Instituts einsehbar ist. Es listet Briefe von und an Brahms in einem chronologisch-systematischen Verzeichnis und soll die wissenschaftliche Grundlage für eine Neuedition des gesamten Brahms-Briefwechsels liefern. 6.825 der insgesamt 10.871 bislang im BBV erfassten Schriftstücke stammen aus der Feder von Brahms und gingen an über 1.000 Briefpartner. Sie stellen Brahms Ruf als "Schreibefaulpelz“ in Frage, mit dem er selbst gerne kokettierte. Sandberger: "Sie zeigen ihn als einen der großen Briefschreiber des 19. Jahrhunderts, als einen Meister der Ironie, Maskierung und Verschleierung.“ Eine Attitüde des Komponisten, die auch der neu erworbene Brahmsbrief auf pointierte Weise dokumentiert.