Viele Künstlerinnen und Künstler arbeiten unter prekären Bedingungen, zeigt eine neue Studie. Eine deutliche Mehrheit rechnet mit Altersarmut. Um das zu ändern, wären mehr gewerkschaftliches Engagement von Künstlern, mehr Problembewusstsein beim Publikum und ein Kurswechsel der Kulturpolitik gefragt.
Wie es aktuell um die berufliche Situation von Kunstschaffenden steht, hat Maximilian Norz von der Künstlerinitiative "art but fair“ untersucht. Seiner Untersuchung zufolge, die von der Hans-Böckler-Stiftung und der Kulturpolitischen Gesellschaft gefördert wurde, herrschen in den schönen Künsten oft unschöne Arbeitsbedingungen: Musiker, Tänzer und Schauspieler müssen sich mehrheitlich mit unzureichender Vergütung und unsicheren Jobs arrangieren.
Die Zahl derjenigen, die hierzulande einen künstlerischen Beruf ausüben, ist offiziellen Statistiken zufolge durchaus beachtlich: 2011 gab es über 18.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Musiker und knapp 22.000 darstellende Künstler. Bei der Künstlersozialkasse, die Selbständigen ab einem Jahreseinkommen von 3.900 Euro offensteht, waren 2014 etwa 51.000 Musikanten und über 24.000 Schauspieler und Tänzer gemeldet.
Um einen Eindruck von den Arbeitsbedingungen dieser Berufsgruppe zu gewinnen, hat Norz eine Online-Umfrage durchgeführt, an der sich 2.635 Erwerbstätige aus den Bereichen Musik und Darstellende Kunst beteiligt haben. 2.160 der Befragten sind Künstler, 475 gehen einer anderen Tätigkeit nach, beispielsweise als Bühnenarbeiter oder Techniker. 91 Prozent sind in Deutschland tätig, der Rest in Österreich und der Schweiz. Zusätzlich wurden ausführliche Interviews mit 22 Künstlern, Veranstaltern, Vermittlern, Politikern sowie Vertretern von Bildungsinstitutionen und Verbänden geführt. Die Befragung ist nicht repräsentativ, erlaubt aber qualifizierte Einblicke in die Arbeitsbedingungen von Künstlern.
Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die Akteure auf Theater- und Konzertbühnen einige Missstände in Kauf nehmen müssen. 79 Prozent von ihnen halten ihre Gagen für unangemessen. Das Nettoeinkommen liegt bei 40 Prozent unter 10.000 Euro pro Jahr. Die prekäre Einkommenssituation hängt auch damit zusammen, dass 70 Prozent der Musiker, Tänzer und Schauspieler unbezahlte Leistungen erbringen müssen. Besonders zu Beginn der Karriere würden von Künstlern kostenlose Auftritte erwartet, damit sie Erfahrung und Renommee sammeln können, so der Autor. Später sei es üblich, dass sie ohne finanzielle Gegenleistung proben oder Nutzungsrechte übertragen. Mit Altersarmut rechnen angesichts der bescheidenen Vergütung in ihrer Branche vier von fünf Befragten. Zu diesen Befürchtungen dürfte auch beitragen, dass viele Künstler – beispielsweise Tänzer – wegen der körperlichen Belastungen in ihrem Job früh aus dem Berufsleben ausscheiden müssen.
Ein weiteres gravierendes Problem ist fehlende Planungssicherheit: Gut 80 Prozent der Befragten empfinden ihre Beschäftigungssituation als unsicher. Tatsächlich ist Norz‘ Analyse zufolge das Normalarbeitsverhältnis im künstlerischen Bereich keineswegs der Normalfall: Während die Anzahl der Selbständigen unter den männlichen Künstlern zwischen 2006 und 2011 um 25 Prozent und unter den Künstlerinnen um 39 Prozent gestiegen ist, hat die Gruppe der abhängig beschäftigten Männer nur um vier und die der Frauen um sieben Prozent zugenommen. Bei den per Werkvertrag beschäftigten Künstlern betrug der Zuwachs zwischen 2005 und 2010 fast ein Drittel. Eine Folge der unsteten Beschäftigungssituation ist die fehlende Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die 60 Prozent der befragten Künstler beklagen.
Defizite beim Arbeitsumfeld wie ungeheizte Räume, ungeeignete Tanzböden oder schlechte Unterkünfte stellen für die Hälfte der Künstler ein Problem dar. Fast ebenso viele geben an, dass Schutzvorschriften wie beispielsweise das Arbeitszeitgesetz teilweise nicht eingehalten werden. Ein Drittel hat Erfahrungen mit Vertragsbrüchen, Machtmissbrauch und Willkür. Fehlende Mitbestimmung bei der Arbeit kennen 25 Prozent, Mobbing 17 Prozent, sexuelle Belästigung fünf Prozent.
Norz hat sich auch damit auseinandergesetzt, was gegen Missstände unternommen werden könnte. Nach seiner Einschätzung sind Gewerkschaften durchaus geeignet, sich wirksam für bessere Arbeitsbedingungen von Künstlern einzusetzen. Allerdings sei der Organisationsgrad auch wegen der vielen Selbständigen und atypisch Beschäftigten eher gering. Hilfreich könnte ein Gütesiegel sein, das Veranstaltern die Einhaltung von Mindeststandards bescheinigt. Die Politik wiederum sollte ihre Kulturförderung an soziale Kriterien knüpfen, empfiehlt der Autor.
Für Dr. Norbert Kluge, Leiter der Abteilung Mitbestimmungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, weisen die Ergebnisse der Untersuchung weit über den künstlerischen Bereich hinaus. "Die Studie erlaubt Einblicke in die `Gig economy´, wie sie manche Digitalisierungs-Enthusiasten als schöne neue Arbeitswelt propagieren. Die ist für viele Kreative längst Alltag. Faire Arbeitsbedingungen und eine stabile soziale Absicherung stehen dabei leider sehr oft nicht auf dem Spielplan“, sagt der Soziologe. Für gute Arbeit im Musik- und Bühnenbetrieb zu sorgen, sei deshalb nicht allein Aufgabe der Kulturpolitik, sondern eng verbunden mit zentralen Zukunftsfragen des Arbeitsmarktes und der sozialen Sicherung. Die oft prekären Arbeitsbedingungen von Künstlern zeigten aber auch, wie wichtig eine kollektive Interessenwahrnehmung sei: "Man sieht: Als Einzelkämpfer kommen auch unter Kreativen nur sehr wenige weiter“, sagt Kluge.
Weitere Informationen:
Maximilian Norz:Faire Arbeitsbedingungen in den Darstellenden Künsten und der Musik?! (pdf) Study der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 319, Mai 2016.