Die Bundesvereinigung Deutscher Orchesterverbände (BDO) veranstaltet vom 16. bis 18. September 2016 das "Deutsche Musiktreffen 60 plus". 2013 hieß diese Veranstaltung "Deutsches Orchestertreffen 60+" und wandte sich an Orchester und Ensembles. Sie war nicht nur ein gelungenes Gemeinschaftserlebnis für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer, das Treffen wurde auch zu einem grandiosen musikalischen Erfolg und setzte wegweisende Impulse. Auch diesmal wurde Bad Kissingen als Veranstaltungsort gewählt. Allein die Atmosphäre, vor allem aber auch die bestens geeigneten Räumlichkeiten, prädestinieren Bad Kissingen für dieses bundesweite Treffen. Wie schon vor drei Jahren liegen Organisation und Projektleitung in den bewährten Händen von Prof. Dr. Hans-Walter Berg. Wie kaum ein anderer lebt und verkörpert er auch das Motto dieser Veranstaltung: "Länger jung mit Musik". Im Gespräch mit Thomas Fink nennt der mit der Musik jung gebliebene Musiker, Dirigent und Gründungsdirektor der Trossinger Bundesakademie Details dieser Veranstaltung:
2013 kamen ausschließlich Ensembles und Einzelmusiker zum Treffen nach Bad Kissingen mit insgesamt rund 1100 Musikerinnen und Musikern. Diesmal sind auch Chöre willkommen. Warum?
Der Urgrund des Instrumentalspiels liegt im Singen. „Musikalisch“ zu spielen bedeutet, mit singender Vorstellungskraft sein Instrument zu handhaben. Umgekehrt ist die Singstimme bereits ein Instrument, das alle Menschen in ihrem Körper besitzen. Chorsingen und Musizieren in der Gruppe sind zwei Seiten einer Medaille und gehören deshalb zusammen. Für beide Arten gilt:
Sie beugen durch regelmäßige, freundschaftliche Kontakte drohender Einsamkeit vor,
sie stellen fordernde, geistig anregende Aufgaben, die Freude bereiten,
sie wecken Lebensenergie und Willenskraft.
Viele Chöre bestehen – naturgemäß – mittlerweile ohnehin aus Seniorinnen und Senioren. Befürchten Sie da nicht einen Massenansturm auf Bad Kissingen?
Mit einem Massenansturm von Chören rechne ich deswegen nicht, weil wir in der BDO erst 150 Chöre ermittelt haben, die sich auch als „Seniorenchöre“ bezeichnen. Und nur diese Chöre haben wir bisher mit einem Einladungs-Flyer angeschrieben. Richtig ist aber, dass Tausende von Chören einen Altersdurchschnitt 60 plus aufweisen, sie tragen aber den Namen Liederkranz, Concordia, Eintracht oder Cäcilienchor vor der Ortsbezeichnung. Ob sich diese Chöre durch unsere Einladung angesprochen fühlen, bleibt offen.
Muss man unbedingt einem Chor oder einem Orchester angehören, oder kann man auch solo nach Bad Kissingen kommen?
Die Einladung nach Bad Kissingen ergeht in erster Linie an feste Orchester und Chöre. Aber auch Sänger- und Instrumentalgruppen sowie einzelne Seniorenmusiker sind herzlich willkommen. Sie können sich in offenen Orchestern und Chören an verschiedenen Stellen aktiv einbringen.
Wer kann sich anmelden, ist eine gewisse Leistungsstufe erforderlich?
Die Antwort ist einfach: jeder Instrumentalist, der nach einfach gesetzten Noten spielen kann, und jeder Sänger, dessen Stimme – auch mit Einschränkungen – trägt, darf mitmachen.
Wie kamen Sie gerade auf Bad Kissingen als Veranstaltungsort? Die Stadt ist als Bayerisches Staatsbad in ganz Europa bekannt für seine Kur, aber Musik?
Im Vorfeld haben wir annähernd 50 Städte in Deutschland auf ihre Eignung für unser Projekt geprüft. Dabei stellte sich heraus, dass Bad Kissingen die günstigsten Voraussetzungen bietet: Die Veranstaltungssäle im Regentenbau mit dem großen Max-Littmann-Saal, der Arkadenbau, das Kurtheater und die Wandelhalle mit Drehbühne liegen alle fußläufig dicht beieinander und befinden sich in einem Top-Zustand. Sie bieten eine hervorragende Akustik und passen in der für unser Treffen erforderlichen Größe. Die Stadt bietet genügend Hotels mit mehreren tausend Betten in allen Preisklassen. Bad Kissingen liegt in der Mitte Deutschlands und ist somit von überall her gut erreichbar. Das Staatsbad und die Stadt haben bereits beim ersten Orchestertreffen 2013 verlässliche und äußerst hilfreiche Unterstützung geleistet. Deswegen verdienen sie für dieses zweite Treffen einen Vertrauensvorschuss. Schließlich bietet die Stadt eine besonders für Senioren angenehme Wohlfühlatmosphäre.
Wie sieht die bisherige Programmplanung aus?
Die ganze Veranstaltung erstreckt sich über drei Tage. Sie beginnt am Freitagabend, 16. September, mit einem spannenden Eröffnungskonzert. Darin sind auf der erweiterten Bühne im großen Max-Littmann-Saal die für das Treffen vier typischen Einheiten – Akkordeon-, Blas-, Zupf- und Streichorchester – sowie die drei typischen Chor-Formationen – Männer-, Frauen- und gemischter Chor – aufgestellt. Diese sieben Formationen stellen sich zunächst einzeln vor, um dann in einem Spezial-Arrangement gemeinsam zu agieren. Der Samstag bietet dann eine Mischung von aktiv Mitmachen, Zuhören, Beobachten, Kommunizieren. Hier ist also für jeden etwas Interessantes dabei. Am Sonntag wird ein Ökumenischer Gottesdienst angeboten, und am Mittag dürfen in einer Abschlussfeier sämtliche aktiven Instrumentalisten und Chorsänger aktiv mitgestalten.
Was erwartet die Chöre und Orchester – außer Musik und Workshops – bei diesem Treffen?
Chören und Orchestern, die erst am Freitagnachmittag anreisen, um abends die spannende Eröffnungsveranstaltung zu erleben, sich samstags an den Mitmachangeboten zu beteiligen, das eine oder andere Konzert zu besuchen und um sonntags bei der Abschlussveranstaltung mitzumachen, bleibt auch Zeit, um das Flair der Stadt zu genießen oder ein paar Schritte in den großflächigen Park zu unternehmen. Zwischendurch gibt es immer wieder Gelegenheit zu einem Plausch mit Sängern und Musikern, die man neu kennen lernte. Und schließlich bietet sich für das gesellige Beisammensein am Samstagabend noch ab 21 Uhr das große allein für uns reservierte Kur-Café an. Ideal für einen entspannten, stressfreien Genuss wäre es, mindestens einen Tag vor Beginn des Treffens anzureisen.
Wie hoch sind die Kosten, mit denen die Teilnehmer rechnen müssen?
Die Kosten für den einzelnen Teilnehmer bleiben überschaubar, weil die erheblichen Aufwendungen des Veranstalters BDO von der Öffentlichen Hand übernommen werden. Sänger, Musiker und deren Anhang haben lediglich für die Reise nach Bad Kissingen, die Hotelunterkunft und für ihre Verpflegung aufzukommen. Es empfiehlt sich eine baldige Hotelreservierung, da der September ein gesuchter Monat ist.
Vor knapp drei Jahren fand dieses Treffen erstmals statt. Was hat sich seither in der Seniorenarbeit verändert?
Das erste Treffen von Seniorenorchestern auf der Bundesebene 2013 hatte eine nachhaltige Wirkung auf die Landes-, Kreis- und Vereinsebene. Mehrere Landesorchester, zum Beispiel in NRW, wurden ins Leben gerufen, Kreisverbände sind dabei, eigene Seniorenorchester zu gründen. Und überhaupt ist die musikalische Seniorenarbeit durch den Impuls in Bad Kissingen als eigenständiges Arbeitsfeld in den Fokus geraten.
Was unterscheidet das Musizieren im Alter, also über 60, vom Musizieren „in den besten Jahren“?
Da gibt es zwei wesentliche Unterschiede. Das eine ist das Repertoire, also die in den Proben erarbeiteten und danach aufgeführten Musikstücke. Die jungen Musiker möchten am liebsten solche Musik spielen, die in ihrer eigenen Gegenwart aktuell ist. Solche Musikstücke treffen oftmals nicht den Geschmack der über 60-Jährigen. Sie tun sich damit schwer. Der zweite Unterschied liegt im Schwierigkeitsgrad der Musikstücke. Die heute ausgebildeten jungen Leute sind oftmals gut in Musikschulen oder im eigenen Verein in einem gestuften System von Anforderungen ausgebildet. Dagegen haben die heute 70-bis 80-jährigen Musiker in ihrer Jugend meist nur eine kurze Ausbildungsphase erlebt, und das nur selten bei Fachpädagogen. Wie die Erfahrung lehrt, ist aber eine Steigerung solcher in der Jugend erworbenen Fertigkeiten am Instrument nur in Ausnahmefällen zu erwarten. Deswegen fühlen sich die Älteren bei instrumentaltechnisch schwierigeren Musikstücken nicht wohl. Darum liegt der Schwierigkeitsgrad der von Seniorenorchestern gespielten Literatur bei einer in fünf Stufen ansteigenden Skala in der Regel bei den Stufen 2 und 3.
Woran liegt es, dass immer mehr Seniorinnen und Senioren die aktive Musik als Freizeitbeschäftigung entdecken?
Da ist zunächst die bekannte Tatsache, dass wir immer älter werden und in der nachberuflichen Lebensphase länger gesund und arbeitsfähig bleiben! Der Präsident der BDO, Ernst Burgbacher, spricht deswegen „von den Chancen einer länger lebenden Gesellschaft“. Das Spielen eines Musikinstrumentes, das konsequente Üben bedeutet neben dem Gewinn an Lebensfreude vor allem Arbeit, Anstrengung, Geduld und Zeit, Zeit, die früher im Alltagsstress gefehlt hat, jetzt ist sie da. Hier möchte man das in der Jugend investierte Kapital, nämlich die erlernten Fähigkeiten am Instrument, reaktivieren und womöglich noch ausbauen. Aber auch die andere Chance lässt sich beobachten, sich einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen, ein Instrument neu zu erlernen. Das ist möglich, weil das Denkorgan bis ins hohe Alter formbar bleibt.
Länger jung mit Musik! Was ist dran an diesem Slogan?
Dieser Slogan basiert auf Beobachtungen und Erfahrungen bei älteren Musikern in Musikvereinen und deren Aussagen, zum Beispiel: „Der regelmäßige wöchentliche Gang zur Probe und das Üben, um während der Probe mithalten zu können, geben meinem Leben Halt und Ziel. Die fordernde Aufgabe aktiviert meine Kräfte immer wieder neu.“ So oder ähnlich sprechen Musiker, die sich auch im Alter von über 80 Jahren durch Musizieren lebenstüchtig und geistig rege halten. Aber um ehrlich zu sein: Ein stichhaltiger wissenschaftlicher Beweis für die Richtigkeit des Slogans steht leider noch aus. Das lässt sich nachlesen in der jüngsten Publikation des renommierten Musikwissenschaftlers an der Universität Oldenburg, Gunter Kreutz „Warum Singen glücklich macht“.
Warum entdeckt man die Senioren als Zielgruppe erst jetzt? Warum rücken Sie erst jetzt in den Fokus der Vereine?
Bekannt ist das Phänomen „Musizieren im Alter“ schon lange. Bereits der römische Philosoph Cicero schrieb vor 2000 Jahren: „Als ich erfuhr, Sokrates habe im Alter Eifer im Saitenspiel gezeigt, da hätte ich das auch gerne noch gemacht.“ Wir brauchen aber gar nicht so weit zurück zu gehen. In der 50er bis 80er Jahren hießen die Institute zum Erlernen eines Musikinstrumentes in der Regel „Jugendmusikschule“. Allmählich setzte sich dann der Begriff „Musikschule“ durch, um die Eingrenzung auf Jugend aufzuheben. In den Musikvereinen war es üblich, spätestens mit Beginn des Rentenalters auszuscheiden. Das hat sich erst in jüngster Zeit geändert. Statistiken von Blasmusikverbänden zeigen, dass der Anteil an erwachsenen aktiven Musikern steigt. So wird verständlich, dass die die Lebensqualität verbessernden Vorteile der Musikausübung erst allmählich propagiert werden. Die BDO ist dafür Vorreiter auf der Bundesspitze. Es braucht Zeit, um aus dem demografischen Wandel auch im Freizeitraum Konsequenzen zu ziehen.
Heißt das, dass sich die Seniorenmusiker von ihrem Stammorchester absetzen und ins Orchester der Alten absetzen sollen?
Mitnichten! Senioren sollten so lange es geht im Stammorchester aushalten. Am besten ist es, wenn mehrere Ältere im Generationen übergreifenden Orchester spielen, sie stützen sich gegenseitig. Auch das gemeinsame Hocken nach der Probe mit den Jüngeren bereichert das familiäre Klima in Vereinen. Die Vereinsführung sieht auch, dass bei den älteren Spielern ein Wohnungswechsel viel seltener vorkommt als bei den jungen. Senioren liefern also auch eine Bestandsgarantie für den Verein. Und schließlich ist es auch nicht mehr nötig, dass Senioren Führungsstimmen übernehmen wie die Erste Hohe Trompete oder das Erste Horn. Ein Wechsel im Register erleichtert das Mitspielen.
Wie sieht die musikalische Seniorenarbeit derzeit aus?
Die vordringliche Aufgabe eines Verbandes für Seniorenmusiker ist die Einrichtung und der Unterhalt eines Seniorenorchesters. Die BDO hat aktuelle Angebote von Landes- und Kreismusikverbänden für Seniorenmusiker zusammen getragen. Danach existieren auf der Landesebene fünf Seniorenorchester, auf der Kreisebene 26 Seniorenorchester, davon allein in Baden-Württemberg 17 Blasorchester und zwei Bezirksakkordeonorchester. Kreisverbands-Seniorenorchester dienen als Sammel- und Auffangbecken für solche vereinzelten Seniorenmusiker oder Musikergruppen, die in ihrem Stammverein kein eigenes Seniorenensemble finden, und das sind die meisten Vereine. In Baden-Württemberg existieren bei 2300 Vereinen der Blasmusik erst 180 Vereins-Senioren-Blasorchester, die der BDO mit Adresse bekannt sind.
Über Seniorenorchester in verbandlicher Trägerschaft hinaus bieten Verbände auch Fortbildungswochen an, die der Schrift "Musizieren 60 plus – Ereignisse und Erkenntnisse" aufgeführt sind. Führend hebt sich hier die BDB-Musikakademie in Staufen (Baden-Württemberg) mit jährlich fünf Angeboten für Seniorenmusiker ab.
Die BDO versendet auf Anfrage den Einladungs-Flyer "Deutsches Musiktreffen 60 plus" mit Anmelde-Formular (auch unter www.musiktreffen60plus.de) sowie kostenfrei die reich bebilderte 60-seitige Broschüre "Musizieren 60 plus – Ereignisse und Erkenntnisse". Formlose Bestellung per E-Mail an: berg@orchesterverbaende.de
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