In der deutschen Musikwirtschaft [1] wurden im Jahr 2019 Gesamterlöse in Höhe von 13,6 Milliarden Euro erzielt. Sie ist damit ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor für die Bundesrepublik Deutschland. Von zentraler Bedeutung ist dabei der Tonträgermarkt, in dem ungefähr 23 Prozent der Gesamterlöse realisiert werden. Dazu gehören alle Erlöse aus den Bereichen der Produktion, Vervielfältigung und des Vertriebs von physischen und digitalen Musikformaten. [2]
Der Tonträgermarkt wurde in den letzten zehn Jahren insbesondere durch die Digitalisierung geprägt; durch sie ist sowohl in den Umsatzanteilen als auch im Nutzerverhalten eine deutliche Dynamik entstanden. Diese lässt sich aus zwei Perspektiven betrachten: Die Anbietersicht (Supply Side) umfasst die Umsatz-entwicklung, die Relevanz der unterschiedlichen Vertriebskanäle, die Entwicklung von Genrepräferenzen
und die Marktanteile von Major und Independent Labels. Die Konsumentensicht (Demand Side) betrachtet Hörgewohnheiten nach Format und Hörerprofile sowie die Rolle technischer Geräte für den Musikkonsum.
Die folgenden Analysen basieren im Kern auf fünf Studien, die den deutschen beziehungsweise internationalen Tonträgermarkt sowie die Nutzung von Musik betrachten. Abbildung 1 zeigt die Studien nach ihrem inhaltlichen Schwerpunkt (Konsumentensicht vs. Anbietersicht) und Turnus der Veröffentlichung. [3]
Tonträgerhersteller
Unternehmen, die Musikaufnahmen produzieren, werden basierend auf § 85 UrhG traditionell als Tonträgerhersteller bezeichnet. Neben physischen Veröffentlichungen von Musikaufnahmen (Schallplatten, Kassetten, CDs etc.), die mit dem Begriff lange Zeit angesprochen waren, haben die Hersteller zunehmend digitale Produkte in ihre Portfolios integriert und ihr Aktionsfeld erweitert. Als gängige Bezeichnung für solche Unternehmen hat sich der Begriff „Label“ etabliert; umgangssprachlich ist nach wie vor oft von „Plattenfirmen“ die Rede. Vervielfältigung, Vertrieb und Verkauf von Musikprodukten ist ihre zentrale Aufgabe.
Umsätze
Betrachtet man die Entwicklung des weltweiten Umsatzes aus dem Musikverkauf zwischen 2010 und 2019, sind zwei Phasen zu erkennen: Nach der zunehmenden Verbreitung digitaler Technologien (z. B. Etablierung MP3-Format, Start iTunes) und dem folgenden Umsatzeinbruch zu Beginn der 2000er Jahre ist die Zeit bis 2015 durch eine Stabilisierung der Umsätze geprägt. Ihr folgte ab 2016 eine Phase des dynamischen Wachstums. Insgesamt stieg der Umsatz von 14,8 Milliarden US-Dollar im Jahr 2010 auf 20,2 Milliarden US Dollar im Jahr 2019 deutlich an (Abbildung 2). In der Stabilisierungsphase 2010–2015 bewegte sich der jährliche Umsatz stets zwischen 14 und 15 Milliarden US Dollar. In der Zusammensetzung der Umsätze zeigt sich aber bereits eine Verlagerung vom physischen Musikverkauf hin zum digitalen Musikverkauf, bestehend aus Downloads und Streaming: Wurden 2010 erst 29 Prozent der Umsätze – weniger als ein Drittel – digital realisiert, waren es fünf Jahre später bereits 45 Prozent und damit knapp die Hälfte. Dabei wurden die digitalen Umsätze zu Beginn der betrachteten Periode fast ausschließlich durch Downloads generiert, die auch 2015 noch immer über die Hälfte der digitalen Umsätze ausmachten. Neben dieser dynamischen Entwicklung im physischen und digitalen Musikverkauf ist aber auch eine Konstante zu erkennen: Die Umsätze aus Performance Rights (insbesondere Nutzung von Musikaufnahmen durch Rundfunkanstalten) und Synchronisation (Lizenzeinnahmen aus der Verwendung von Musik in TV, Film, Games oder Werbung) sind im betrachteten Zeitraum relativ beständig.
Hatten sich die weltweiten Umsätze aus Musikverkäufen zwischen 2010 und 2015 stabilisiert, zeigt sich ab 2016 ein stetiges Wachstum. 2019 überschritt der weltweite Umsatz erstmals wieder seit 2004 die Marke von 20 Milliarden US-Dollar. Dieses Wachstum ist auf das Streamen von Musik zurückzuführen – die Umsätze aus physischen Tonträgern sowie aus digitalen Downloads waren im betrachteten Zeitraum rück-läufig; nur die Umsätze aus Performance Rights und Synchronisation sind relativ konstant geblieben bzw. leicht gewachsen. 2019 wurden trotz zurückgehender Umsätze aus digitalen Downloads fast zwei Drittel der Umsätze (63 Prozent) in digitalen Kanälen realisiert – im Kern durch die dynamische Entwicklung des Streamings.
War der Anteil des Streamings am Gesamtumsatz im Jahre 2010 noch unbedeutend und selbst 2015 noch kleiner als der Anteil digitaler Downloads, wurden im Jahr 2019 ungefähr 56 Prozent aller weltweiten Umsätze aus dem Musikverkauf durch Streaming generiert. Der Großteil der Streamingumsätze entfällt dabei mit rund 42 Prozent auf die kostenpflichten Abonnements, während die übrigen 14 Prozent durch werbefinanziertes Streaming generiert werden. [4] Die rapide Verbreitung des Streamings verdeutlicht, dass die Musikwirtschaft den Nutzerinnen und Nutzern damit ein attraktives Angebot bereitstellt. Mussten Konsumenten Anfang der 2000er noch ganze Alben erwerben, um in den Genuss der neuesten Veröffentlichungen ihrer Lieblingskünstlerinnen und -künstler zu kommen, ermöglicht es das Streaming, für einen Monatsbeitrag von ungefähr 10 Euro – über die werbefinanzierte Version kostenlos –, auf eine riesige Musikbibliothek zurückzugreifen – und das, ohne an einen Tonträger gebunden zu sein. Dies hat nicht zuletzt den positiven Effekt, dass die illegale Nutzung von Musik immer unattraktiver geworden ist.
In Deutschland – nach den USA, Japan und dem Vereinigten Königreich viertgrößter Tonträgermarkt weltweit [5] – unterscheidet sich die Entwicklung strukturell vom globalen Trend (Abbildung 3). Hier verlief die Digitalisierung der Musiklandschaft – ähnlich wie beispielsweise auch die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs – verzögert; über einen längeren Zeitraum wurde mehr Musik physisch abgesetzt. So wurden 2010 lediglich zwölf Prozent der Umsätze digital realisiert, während der Anteil weltweit mit 29 Prozent schon mehr als doppelt so hoch war. Danach wuchs der digitale Umsatzanteil in Deutschland zwar stetig an, die Lücke zum weltweit digital realisierten Umsatz blieb aber bis ins Jahr 2016 relativ konstant bzw. wurde 2013/14 zwischenzeitlich sogar größer, da das durch Streaming induzierte Wachstum in Deutschland noch nicht eingesetzt hatte. Erst 2015 begann auch in Deutschland das dynamische Wachstum im Streaming, in dessen Folge sich der digitale Anteil zwischen 2015 und 2019 mehr als verdoppelt hat; weltweit ist der digi-tale Anteil in diesem Zeitraum von 45 auf 63 Prozent gestiegen. 2018 steuerte das Streaming in Deutschland erstmalig den größten Umsatzanteil bei; ein Jahr später war der digitale Anteil in Deutschland schließlich nur noch ungefähr sechs Prozent niedriger als im weltweiten Vergleich. Global wie in Deutschland zeigen die Umsätze aus Performance Rights und Synchronisation ein leichtes Wachstum.
Vertriebskanäle
Tonträger und digitale Musikprodukte werden in Deutschland über verschiedene Vertriebskanäle abgesetzt: Neben dem stationären Verkauf physischer Tonträger im Elektro-, Einzel- und Musikfachhandel spielt insbesondere der Onlineerwerb physischer Tonträger und digitaler Formate eine Rolle. Der stationäre Handel physischer Tonträger (inkl. Katalogbestellungen) verlor im letzten Jahrzehnt stetig an Bedeutung – der Umsatzanteil ist laut Erhebungen des BVMI von 56,5 Prozent im Jahr 2010 auf 15,6 Prozent im Jahr 2019 deutlich zurückgegangen. [6] Ebenso rückläufig ist nach einem zwischenzeitlichen Wachstum bis auf 31,9 Prozent im Jahr 2015 der Onlinekauf physischer Tonträger; der Umsatzanteil lag im Jahr 2019 nur noch bei 20 Prozent. Ungebrochen ist das Wachstum dagegen beim Onlinekauf digitaler Formate – hier stieg der Umsatzanteil von 12,9 Prozent im Jahr 2010 auf 64,4 Prozent im Jahr 2019. [7] Auch die „Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020“ [8] untersucht, über welchen Vertriebskanal Tonträger in Deutschland anzahlmäßig am häufigsten verkauft werden. In den Ergebnissen der fünften Erhebungswelle, die im Sommer 2020 durchgeführt wurde, spiegelt sich ebenfalls das Wachstum im Streaming. Da es keinen Kauf darstellt, sondern ein zeitlich begrenztes Abonnement, wird Streaming hier der Gruppe „ich kaufe keine Musik“ zugeordnet. Diese war zuletzt mit 28 Prozent der größte Anteil der Studienteilnehmer; seit August 2018, also innerhalb von ungefähr zwei Jahren, ist ihr Anteil um ungefähr sechs Prozentpunkte angewachsen. Im Umkehrschluss lässt sich aber auch festhalten, dass in Deutschland immer noch 72 Prozent der Konsumenten Musik kaufen.
Genres
Neben dem steigenden digitalen Umsatzanteil und dem rückläufigen Absatz über physische Vertriebskanäle zeigen sich auch bei den Anteilen der Repertoiresegmente bzw. Genres seit 2010 deutliche Verschiebungen (Abbildung 5). Demnach ist Pop nach wie vor das umsatzstärkste Genre, allerdings mit einem Umsatzrückgang von rund zehn Prozent in den letzten zehn Jahren. Deutschsprachiger Pop dagegen konnte seinen Umsatzanteil im gleichen Zeitraum von drei auf 4,5 Prozent steigern. Mehr als verzehnfacht hat sich der Marktanteil seit 2010 für den Hip-Hop. Das sprunghafte Wachstum vor allem ab 2015 korreliert zeitlich mit der Etablierung des Musikstreamings in Deutschland; Hip-Hop-Künstler sind regelmäßig weit oben in den Streaming-Charts vertreten. [9] Auch der Dance-Bereich ist enorm gewachsen und hat seinen Umsatzanteil fast verdreifacht – von 2,8 Prozent im Jahr 2010 auf 7,3 Prozent im Jahr 2019. Rückläufig sind die Umsatzanteile dagegen in den Genres Schlager (von 4,9 auf 4,0 Prozent), Volksmusik (von 1,9 auf 0,8 Prozent) und insbesondere Klassik (von 8,1 auf 2,2 Prozent). Das Genre Rock ist auf einem konstant sehr hohen Niveau, musste im Jahr 2019 aber erstmals Platz 2 im Umsatzranking an den Hip-Hop abgeben. Einzig der Jazz blieb mit kleineren Schwankungen konstant bei ungefähr 1,5 Prozent.
Marktanteile Major und Independent Labels
Der weltweite Tonträgermarkt wird in Bezug auf den realisierten Umsatz von den drei Major Labels Sony Music, Universal Music und Warner Music dominiert. [10] Die übrigen Labels, wie beispielsweise Beggars, Banquet oder Pias, werden als „Indies“ bzw. „Independent Labels“ kategorisiert. Deren Markanteil war bis 2016 relativ konstant, wuchs dann aber innerhalb von nur drei Jahren von 26,9 auf 32 Prozent an [11], gefördert unter anderem durch das Wachstum im Musikstreaming: Künstler können auf dem digitalen Kanal mit vermindertem finanziellen Risiko und geringeren Vorabinvestitionen Musik veröffentlichen. Außerdem konnten insbesondere solche Labels ihre Marktanteile ausbauen, die einen nennenswerten Hip-Hop-Anteil im Portfolio haben – so etwa zu sehen beim auf Hip-Hop spezialisierten Vertrieb Groove Attack. Der Markt-anteil der drei Major Labels blieb zeitgleich weitestgehend konstant (Sony Music von 21,9 auf 19.8 Prozent, Universal Music von 27,9 auf 31,8 Prozent, Warner Music von 15,1 auf 16,4 Prozent). [12] Das Label EMI, einst viertes Major Label, wurde 2011 zu großen Teilen von Universal Music übernommen und sorgte zusätzlich für dessen Wachstum. Vertreten werden die drei Major Labels und weitere mittlere und kleinere Musikfirmen vom Bundesverband Musikindustrie (BVMI), der mit seinen rund 200 Mitgliedern insgesamt mehr als 80 Prozent des deutschen Musikmarkts (Basis: Vertriebsumsatz) repräsentiert und jährlich die Publikation „Musikindustrie in Zahlen“ herausbringt. Der Verband setzt sich auf nationaler und internationaler Ebene für die Interessen seiner Mitglieder ein und ist zentraler Ansprechpartner für die Politik. [13] Neben dem BVMI agiert der Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen (VUT); er vertritt die Interessen von rund 1.200 unabhängigen Musikunternehmen, die sich u. a. selbst vermarkten. Der VUT setzt sich insbesondere dafür ein, dass die kulturelle Vielfalt in der deutschen Musiklandschaft stärker wahrgenommen wird und fördert mit seinen Mitgliedern aufstrebende Talente. [14]
Erwerbstätige
Ende 2019 arbeiteten mehr als 25.000 Menschen im deutschen Tonträgermarkt; das sind über 5.000 Menschen mehr als noch 2014 und 16 Prozent aller Erwerbstätigen in der Musikwirtschaft. [15] Den größten Teilbereich bildet mit fast 13.000 Erwerbstätigen der „Einzelhandel bzw. Anbieter physischer und digitaler Musikformate“, gefolgt vom Teilbereich „Vertrieb und Vermarktung von physischen und digitalen Musikformaten“ mit fast 6.000 Erwerbstätigen. Rund 6.600 Menschen arbeiten in den Teilbereichen „Tonstudios“ (knapp 2.700 Erwerbstätige), „Label“ (1.800), „Presswerke“ (1.700) und „Musikproduzent*innen“ (400). Die Bruttowertschöpfung pro Kopf war 2019 in Bezug auf die Musikwirtschaft insgesamt überdurchschnittlich (47.000 Euro gegenüber 32.800 Euro); dies unterstreicht die hohe Relevanz dieses Teilsegments. Ins-gesamt sind die Beschäftigten, die dem Tonträgermarkt zugerechnet werden, für mehr als 23 Prozent der Gesamtumsätze in der deutschen Musikwirtschaft verantwortlich. [16]
Einfluss von COVID-19 auf den deutschen Tonträgermarkt
Waren die Musikwirtschaft insgesamt und der Bereich Musikaufnahmen in den Jahren 2014–2019 deutlich gewachsen, kehrt die Corona-Pandemie diese Entwicklung seit März 2020 fundamental um. Die im September 2020 veröffentlichten Ergebnisse der fünften Befragungswelle in der Musiknutzungsstudie zeigen, dass die monatlichen Ausgaben im deutschen Tonträgermarkt in nahezu allen Formaten stark eingebrochen sind – nur die Ausgaben für Streaming sind im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 22 Prozent gewachsen. Insbesondere der Absatz physischer Tonträger (Ausgaben für CD-Alben -25 Prozent) ist gegenüber dem Vorjahresmonat drastisch eingebrochen. Auch die Musikwirtschaftsstudie geht für das Jahr 2020 von rückläufigen Umsätzen im deutschen Tonträgermarkt aus. Hatten die deutschen Musikunternehmen vor Ausbruch der Corona-Krise zu 55,1 Prozent steigende Umsätze für das Jahr 2020 prognostiziert, sahen dies nach Ausbruch der Corona-Krise nur noch 13,8 Prozent von ihnen so. Etwa zwei von drei Musikunternehmen (63,8 Prozent) erwarteten stattdessen abnehmende Umsätze.
Musiknutzung in Deutschland
Die Analyse der Musiknutzung in Deutschland basiert hier insbesondere auf der „Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020“. [17] Dabei handelt es sich um eine halbjährliche repräsentative Panelbefragung, die in sechs Befragungswellen durchgeführt wird. [18] Die erste Befragungswelle fand im August 2018 statt, die sechste Welle ist Anfang 2021 erhoben worden. Dabei wird ein breites Spektrum an Fragen zur Musiknutzung gestellt – vom Musizieren über das Hören von Musik bis zum Kauf von Musik. Die Studie ist die erste ihrer Art, die allein die Musiknutzung untersucht und Musik nicht als Unterkategorie von Medien-nutzung oder Freizeitgestaltung behandelt. Der Ansatz, im Rahmen der Erhebung immer wieder dieselben Personen zu befragen, dient dazu, individuelle Entwicklungen sehr genau zu beobachten und differenzierte Aussagen über die Art und Gründe der Musiknutzung zu treffen.
Der wöchentliche Musikkonsum in Summe ist bei den Befragten in dieser Studie konstant rückläufig – von 21 Stunden und 9 Minuten im Sommer 2018 auf 19 Stunden und 43 Minuten im Sommer 2020. Dies entspricht einem Rückgang von ungefähr acht Prozent innerhalb von nur zwei Jahren. Dies betrifft alle Formate mit Ausnahme des kostenpflichtigen Musikstreamings und Online-Radios. Insbesondere der Musikkonsum über das herkömmliche Radio hat im betrachteten Zeitraum stetig abgenommen: Wurden im Sommer 2018 noch durchschnittlich 9 Stunden und 23 Minuten über dieses Medium gehört, waren es im Sommer 2020 nur noch knapp 8 Stunden (-15 Prozent). Dagegen ist die Nutzung von Online-Radios stark gewachsen (+73 Prozent). Online-Radios scheinen also das herkömmliche Radio mehr und mehr zu substituieren – eine große Herausforderung für die klassischen Radiosender. Die Inhalte werden beim Online-Radio teilweise nicht direkt über die Radiosender, sondern über eigenständige Apps von Aggregatoren abgerufen, die auf das laufende Programm der Radiosender zugreifen. Dadurch geht allerdings ein Teil der Kontrolle ebenso verloren wie der direkte Zugang zum Nutzer.
Mit Blick auf das Wachstum der Umsätze im digitalen Bereich ist es nicht überraschend, dass auch die Nutzung kostenpflichtiger Musikstreaming-Dienste gestiegen ist (+19 Prozent). Die Nutzerreichweite von kostenpflichtigem Streaming ist mit 29 Prozent auf einem konstant hohen Niveau, und immer mehr Konsumenten finden es in Ordnung, dass Musik nur während einer zeitlich begrenzten Mitgliedschaft gehört werden kann. Dahingegen verliert der Besitz von Musik an Relevanz – immer weniger Menschen in Deutschland besitzen physische Tonträger oder digitale Musikdateien. Rückläufig sind auch die Nutzung gespeicherter digitaler Musikdateien (-26 Prozent), physischer Tonträger (-10 Prozent), kostenloser Musik-streaming-Dienste (-14 Prozent) und das Streaming über YouTube (-22 Prozent) und andere Video-Portale (-28 Prozent). Erklären lässt sich der Abwärtstrend auch während der Corona-Pandemie zumindest teilweise mit einem verstärkten Fokus auf Nachrichten, die beispielsweise in Form von Podcasts konsumiert werden – die Menschen informieren sich über Fallzahlen, Risikogebiete und Restriktionen. [19]
Mit dem Wachstum im Musikstreaming geht auch ein erfreulicher Nebeneffekt einher. Hatte die illegale Nutzung von Musik Anfang der 2000er Jahre noch zu großen Umsatzeinbußen geführt, hat sich dieses Problem inzwischen zumindest teilweise gelöst. Gemäß der Studie „Musikindustrie in Zahlen“ entfiel in Deutschland 2019 lediglich ein Anteil von etwas mehr als drei Prozent am Musikkonsum auf Online-Piraterie. [20] Dies bestätigt auch die „Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020“ [21], die verschiedene Formen der illegalen Nutzung erhebt. Der größte Anteil entfällt demnach auf das Mitschneiden/Konvertieren von Video-Streams aus dem Internet (ca. sechs Prozent der Befragten).
Hörerprofile nach Alter, Geschlecht und Genrepräferenz
Die Nutzung der unterschiedlichen Formate ist stark vom Alter abhängig. Insbesondere beim Radio und bei den Streamingdiensten gibt es große Unterschiede zwischen den Altersklassen: Während jüngere Nutzer vor allem Streaming nutzen, erfreut sich das Radio mit fortschreitendem Alter zunehmender Beliebtheit.
Das Alter der Konsumenten hat aber nicht nur einen Einfluss auf das Format des Musikkonsums, sondern auch auf die Genrepräferenzen (Abbildung 7). So sind Pop und Rock vor allem in den mittleren Altersklassen zwischen 30 und 59 Jahren beliebt, während die Genres Schlager/Volksmusik und Klassik vor allem von Nutzern der beiden höchsten Altersklassen ab 50 Jahren konsumiert werden. Das Genre Dance wiederum mögen vor allem Nutzer jüngeren und mittleren Alters.
Neben dem Alter spielt offenbar auch das Geschlecht eine Rolle beim Musikgeschmack. Insgesamt sind männliche Nutzer deutlich überrepräsentiert – im Jahr 2019 machten sie 65 Prozent der Musikkäufer*innen, aber nur 49 Prozent der Bevölkerung in Deutschland aus. Besonders ausgeprägt ist der männliche Nutzer-anteil mit jeweils 75 Prozent in den Genres Rock, Dance und Klassik. Schlager/Volksmusik dagegen kaufen Männer und Frauen in etwa gleich viel.
Aus den Daten der ersten Befragungswelle der „Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020“ [22] lassen sich weitere Unterschiede zwischen den Hörern verschiedener Genres ableiten – in Bezug auf die Attribute Alter und Geschlecht sind die Ergebnisse zu den Hörern konsistent mit den vorherigen Ergebnissen zu den Musikkäufern (Abbildungen 7 und 8). Überdurchschnittlich oft greifen demnach Hörer der Genres Hip-Hop (36 Prozent) und Electronic Dance Music (34 Prozent) auf kostenpflichtige Streamingdienste zurück, während der Anteil der Premium-Streamer unter den Klassik Hörern mit 21 Prozent vergleichsweise gering ist.
Darüber hinaus wird deutlich, dass Klassik-Hörer besonders häufig selbst ein Instrument spielen und eine überdurchschnittlich hohe Zahlungsbereitschaft für physische und digitale Musikprodukte haben. Außer-dem wird Musik ein hoher Wert zugemessen (4.3 auf einer Likert-Skala von 1–7). Am meisten Musik konsumieren die Hörer der beiden Genres Hip-Hop und Electronic Dance Music mit wöchentlich 23,3 Stunden beziehungsweise 25,1 Stunden.
Technische Geräte und Orte zum Musikkonsum
Aktuell nutzen noch immer 52 Prozent der Deutschen ein Smartphone und 56 Prozent ein Radio, um Musik zu hören; trotz leichter Verluste sind es damit weiterhin mit Abstand die bedeutendsten Geräte für den Musikkonsum. Stark rückläufig war im Zeitraum 2018–2020 die Nutzung von Laptops/PCs (53 auf 36 Prozent), klassischen Fernsehern (25 auf 11 Prozent), Tablets (18 auf 11 Prozent) und MP3-Playern (16 auf 11 Prozent). Relativ konstant ist die Nutzung von Smart-TVs (16 Prozent) und Spielekonsolen (zwei Prozent), auch wenn letztere nur eine untergeordnete Rolle spielen. Bei Smart Speakern zeigt sich eine gegenteilige Entwicklung. Dass 15 Prozent der Befragten 2020 einen Smart Speaker zum Musikkonsum nutzten, entspricht einem Wachstum von 83 Prozent innerhalb von nur zwei Jahren.
Aus diesen Trends lassen sich zwei Implikationen für die Musikwirtschaft ableiten: Zum einen hängt das Wachstum im Bereich Smart Speaker mit der Nutzung von Streaming-Diensten und Online-Radios zusammen. Die Musiknutzungsstudie zeigt, dass die Nutzung dieser beiden Formate unter den Smart-Speaker-Besitzern besonders hoch ist, insbesondere verwenden Nutzer auch den Streaming-Dienst des jeweiligen Herstellers. Zum anderen birgt diese Entwicklung neue Herausforderungen, da diese Geräte allein über die Stimme und ohne visuelles Interface bedient werden. Es ist anzunehmen, dass sich der Prozess, wie Menschen Musik suchen und konsumieren, grundlegend ändert.
Die Nutzung bestimmter technischer Geräte hat auch Auswirkungen auf den Ort und die Situation, in der Menschen überwiegend Musik hören: Derzeit wird Musik am häufigsten im Auto (70 Prozent) und im eigenen Zuhause zur Entspannung (64 Prozent) gehört; die Hälfte der Hörer*innen nutzt Musik beim Kochen oder Aufräumen (51 Prozent). [23] Setzt sich der Wachstumstrend bei den Smart Speakern fort, wird Musik zukünftig womöglich noch häufiger zuhause gehört werden, da diese Geräte i. d. R. dort installiert sind.
Fazit
Der Tonträgermarkt wurde in den letzten zehn Jahren insbesondere durch die Digitalisierung geprägt. Dies spiegelt sich sowohl in den Umsatzanteilen als auch im Nutzerverhalten. Hatte die erste Digitalisierungswelle in Form digitaler Downloads (insbesondere MP3-Format) und Piraterie Anfang der 2000er einen Umsatzeinbruch zur Folge, ist der digitale Kanal in Form von Musikstreaming nun der stärkste Wachstums-treiber für den Umsatz mit Musikaufnahmen. Festzuhalten bleibt ferner für Deutschland eine zeitversetzte Entwicklung, insbesondere im Vergleich zu den USA und den skandinavischen Ländern. Mit dem Wachstum im Streaming geht ein weiterer Trend einher: Da es vielen Konsumenten nicht mehr wichtig ist, Musik in Form von physischen Tonträgern oder digitalen Dateien zu besitzen, wird sie immer weniger gekauft, ins-besondere über physische Absatzkanäle.
Bei den Genres lässt sich ebenfalls eine Verschiebung erkennen. Das Genre Pop ist zwar immer noch stark nachgefragt, allerdings sind die Umsätze innerhalb der letzten zehn Jahre stark rückläufig. Auch die Klassik hat stark an Marktanteilen verloren. Dahingegen konnte der Hip-Hop seinen Marktanteil mehr als verzehnfachen, das Genre Dance ist ebenfalls stark gewachsen. Vor allem Labels in diesen beiden Genres profitieren stark von dieser Entwicklung, daneben konnten auch die Independent Labels allgemein ihren Marktanteil ausbauen.
Schließlich geht auch die Nutzung des herkömmlichen Radios stetig zurück, während immer mehr Menschen Musik via kostenpflichtigem Streaming und Online-Radios konsumieren. Dies wird die Radiosender vor neue Herausforderungen stellen, insbesondere, weil immer mehr Menschen über einen Smart Speaker auf diese Kanäle zugreifen und nicht über den Onlinekanal des jeweiligen Senders. Ein Blick auf die Entwicklung in den USA lässt vermuten, [24] dass sich das Wachstum im Bereich Smart Speaker auch in Deutschland weiter fortsetzen wird und sich die Art, wie Menschen Musik suchen, konsumieren und entdecken, nachhaltig verändert.
Fußnoten
Die Musikwirtschaft besteht aus den Teilsektoren Musikaufnahmen (Tonträgermarkt), Musikveranstaltungen, Musikinstrumente, Musikunterricht, Kreative, Musikverlage und Verwertungsgesellschaften.
Vgl. DIW Econ: Musikwirtschaft in Deutschland, Berlin 2020.
Herangezogen werden drei standardisierte Studien, die regelmäßig jährlich bzw. halbjährlich erscheinen sowie zwei weitere zentrale Studien: Die „Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020“, durchgeführt von der Universität Hamburg, untersucht Veränderungen im Nutzerverhalten; die Studie „Musikwirtschaft in Deutschland“, durchgeführt vom Institut DIW Econ, quantifiziert die volkswirtschaftliche Bedeutung der Musikwirtschaft.
Vgl. International Federation of the Phonographic Industry (IFPI): Global Music Report 2019, London 2020, S. 13. Online unter https://www.ifpi.org/wp-content/uploads/2020/07/Global_Music_Report-the_Industry_in_2019-en.pdf (Zugriff: 15. Januar 2021).
Ebd.
Siehe auch die Statistik "Umsatzanteile der Handelsformen und Vertriebsschienen am Gesamtmarkt".
Ebd.
Clement, Michel; Kandziora, Michael; Meyn, Janek: Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020. Hamburg 2018ff. Ausgewählte Ergebnisse sind online auch verfügbar unter https://www.musikindustrie.de/publikationen/langzeitstudie-musiknutzung-in-deutschland (Zugriff: 26. Februar 2021).
Vgl. Bundesverband Musikindustrie: Musikleben in Zahlen, versch. Jg. online unter https://www.musikindustrie.de/publikationen/musikindustrie-in-zahlen-im-ueberblick (Zugriff: 15. Januar 2021).
Vgl. ebd., Musikindustrie in Zahlen 2019, Berlin 2020, S. 22.
Vgl. https://musicandcopyright.wordpress.com/2020/05/20/umg-increases-recorded-music-market-share-lead-indies-enhance-publishing-dominance/ (Zugriff: 22. April 2021) sowie https://de.statista.com/statistik/daten/studie/224077/umfrage/marktanteile-der-groessten-plattenfirmen-weltweit/ (Zugriff: 15. Januar 2021).
Ebd.
Vgl. die Selbstdarstellung des BVMI unter https://www.musikindustrie.de/der-bvmi/ueber-uns. Abgerufen am 23. November 2020.
Vgl. die Selbstdarstellung des VUT unter https://www.vut.de/vut/ueber-den-vut/. Abgerufen am 23. November 2020.
Vgl. DIW Econ: Musikwirtschaft in Deutschland, Berlin 2020, S. 16–17; Seufert, Wolfgang; Schlegel, Robert; Sattelberger, Felix (Hrsg.): Musikwirtschaft in Deutschland, Berlin 2015, S. 14-15.
Zu den genannten Werten für 2019 vgl. DIW Econ: Musikwirtschaft in Deutschland, S. 50 und S. 16-17.
Clement, Michel; Kandziora, Michael; Meyn, Janek: Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020. Hamburg 2018 ff.
Weitere Informationen zur Methodik online unter https://www.musikindustrie.de/fileadmin/bvmi/upload/05_Presse/01_Pressemitteilungen/2020/200916_Basisfolien_5._Welle_final.pdf, S. 4-6. (Zugriff: 15. Januar 2021).
Gesondert zu betrachten ist die Entwicklung des Formats Live-Musik. Zum einen ist hier über die fünf Befragungswellen ein starker saisonaler Effekt zu beobachten (im Sommer wird deutlich mehr Live-Musik gehört als im Winter), zum anderen ist der starke Rückgang von -68 Prozent auf die durch die Corona-Pandemie bedingten Restriktionen zurückzuführen.
Vgl. Bundesverband Musikindustrie: Musikindustrie in Zahlen 2019, Berlin 2020, S. 25.
Clement, Michel; Kandziora, Michael; Meyn, Janek: Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020. Hamburg 2018 ff.
Clement, Michel; Kandziora, Michael; Meyn, Janek: Studie zur Zukunft der Musiknutzung 2018–2020. Hamburg 2018 ff. Online unter https://www.musikindustrie.de/publikationen/langzeitstudie-musiknutzung-in-deutschland (Zugriff. 26. Februar 2021).
International Federation of the Phonographic Industry (IFPI): Music Listening 2019. A look at how recorded music is enjoyed around the world, S. 13. Online unter https://www.ifpi.org/wp-content/uploads/2020/07/Music-Listening-2019-1.pdf (Zugriff: 15. Januar 2021).
Vgl. Edison Research and Triton Digital: The Infinite Dial 2020, Somerville 2020, S. 9.