Wie klingen ein Glockenspiel aus Blumentöpfen, eine Geige, ein Xylophon aus Wassergläsern, ein Cello, Plexiglasscheiben und Plastikschläuche? Ziemlich besonders, wenn sie gleichzeitig ertönen. Zu Gehör bekam diese Soundmischung das Publikum der Deutschen Orchesterkonferenz. Das Klangexperiment zeigte, wie mit einfachen Mitteln das Interesse an Musik geweckt wird.
"Das Wort Musikvermittlung war zu Beginn meines Berufslebens überhaupt nicht existent“, sagte Hans-Reinhard Biere, Vorsitzender der Deutschen Orchestervereinigung (DOV), der seit 34 Jahren im WDR Sinfonieorchester Köln spielt. "Das hat sich im Lauf der Jahre erheblich verändert.“ Um neue Zuhörer zu gewinnen, bieten die 129 professionellen Orchester in Deutschland inzwischen unzählige Kinder- und Jugendkonzerte, aber auch Lunchkonzerte und andere innovative Formate. Und dennoch: "Da geht noch was!“, sagt DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens, und greift damit das Motto der gut besuchten Konferenz auf.
Auf Einladung der DOV und ihres Kooperationspartners netzwerk junge ohren (njo) kamen am 24. April rund 300 Gäste nach Halle, unter ihnen Berufsmusiker, Musikvermittler, Politiker und Journalisten. Die Deutsche Orchesterkonferenz findet alle drei Jahre statt. Dieses Mal stehen Musikvermittlung und Qualitätsmanagement für Rundfunk, Orchester und Konzerthäuser im Mittelpunkt. Ziel ist auch, die vorbildliche Musikvermittlungsarbeit der ARD noch weiter in die Gesellschaft zu tragen.
Was Rundfunkklangkörper neben der Musikproduktion im Bereich Vermittlung leisten, zeigt exemplarisch das aktuelle Education-Projekt des MDR; das Händel-Experiment. Insgesamt beteiligten sich 350 Akteure, davon waren 268 eigene Kompositionen von Schülern (sie können auf der MDR-Website abgerufen und gehört werden). "Das Projekt ist eine Blaupause für die Zukunft“, sagte Christian Höppner, Präsident des Deutschen Kulturrats. Das Abschlusskonzert des Händel-Experiments wird am 3. Mai mit sieben Kompositionen aus dem gesamten Bundesgebiet stattfinden. Es wird im Radio, im Fernsehen und als Video-Livestream übertragen.
"Wir sind uns in der ARD sehr bewusst, was Musikvermittlung bedeutet“, sagte MDR-Hörfunkdirektorin Nathalie Wappler Hagen. Differenzierung und unterschiedliche Wahrnehmung von Tönen nutze auch beim Diskurs in der Gesellschaft. Wappler Hagen machte auch deutlich, wie sich die Berufsanforderungen geändert haben: "Wir brauchen Orchestermusiker, die experimentierfreudig sind und auch mal ins Fußballstadion gehen, um neue Zuhörer zu erreichen.“
Im Fernsehen sehe man jenseits vom Kultursender arte wenig Klassik, bedauerte Rainer Robra, Kulturminister und Chef der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt. Robra spielt selbst Bratsche und setzt sich auch deshalb für Musikvermittlung ein: "Wir brauchen überall Angebote in altersgerechter Qualität, um Kindern unmittelbare Musikerlebnisse zu ermöglichen.“ Das sei eine kontinuierliche Aufgabe.
Robra machte deutlich, dass mit der wachsenden Bedeutung der Musikvermittlung diese Aufgabe auf Dauer nicht ehrenamtlich geleistet werden kann: "Musikvermittlung muss in die Orchesterpläne eingearbeitet und zur planmäßige Aufgabe werden. Und sie muss irgendwann wahrscheinlich auch mal on top finanziert werden.“ Die Vermittlung von Kultur an nachwachsende Generationen sei nur über direkte Kontakte möglich. "Dafür muss die Politik Ressourcen zur Verfügung stellen.“
Am Nachmittag ging es in zwei getrennten Foren um die Arbeitsbedingungen von Musikvermittlern und Qualitätsmanagement für Orchester. Obwohl das Marketing von Orchestern und Theatern in den vergangenen 20 Jahren stark professionalisiert wurde, sieht Irene Knava weiteren Handlungsbedarf. Sie ist Beraterin für Theater und Orchester.
Auf ein anderes Problem wies Stefan Rosu, Intendant der Philharmonie Zuidnerderland, hin: "Es ist ein Balanceakt, dass Orchester den traditionellen Konzertbetrieb mit etablierten Qualitätsmaßstäben fortsetzen und gleichzeitig neue Wege gehen.“ Dazu ist nach Ansicht von Gerald Mertens mehr Austausch zwischen Orchestermanagern und Musikern nötig: "Sie brauchen eine andere Form des Dialogs.“
Bislang gab es keine gesicherten Zahlen über die Arbeitsbedingungen von Musikvermittlern. Diese Lücke schließt nun eine Umfrage, die im EDUCULT im Auftrag des njo im deutschsprachigen Raum durchführte und auf der Deutschen Orchesterkonferenz präsentierte. Die wichtigsten Ergebnisse: 79 Prozent aller Musikvermittler sind Frauen. Das Brutto-Durchschnittsjahreseinkommen in Deutschland liegt im Median bei 24.000 Euro, in Österreich bei 30.000 Euro. Davon können die meisten nicht leben. Deshalb haben viele einen Zweitjob. Auf der Habenseite steht die Freude an ihrem Beruf. "Sie schließen einen Deal zwischen den sehr überschaubaren Arbeitsbedingungen und dem emotionalen Benefit, den sie daraus beziehen“, sagt njo-Geschäftsführerin Lydia Grün. Ihr Fazit: "Musikvermittler müssen lernen, über Geld zu sprechen, und das ziemlich deutlich.“
Die feierliche Verleihung des Hermann-Voss-Kulturpreises war der Höhepunkt der Konferenz. Die DOV übergab die Auszeichnung Isabel Pfeiffer-Poensgen, Kulturministerin von Nordrhein-Westfalen, für ihren Einsatz, den Kulturhaushalt des Bundeslands deutlich zu steigern. Der Voss-Preis ist mit 5.000 dotiert.
Den undotierten Sonderpreis erhielt Albert Ginthör für sein humanitäres Engagement. Er hatte den von endgültiger Abschiebung bedrohten Musiker Ahmad Shakib Pouya persönlich nach Afghanistan begleitet, um seine Wiedereinreise nach Deutschland zu erreichen.
Die DOV verleiht den Hermann-Voss-Kulturpreis der deutschen Orchester seit 1979 alle drei Jahre für besondere Verdienste um die Orchesterkultur. Preisträger in der Vergangenheit waren u.a. die Deutsche UNESCO-Kommission, der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth, WDR-Intendant Fritz Pleitgen, die Dirigenten Kurt Masur und Gerd Albrecht sowie Irene Schulte-Hillen, Präsidentin der Deutschen Stiftung Musikleben.