"Als wir 1988 den Entschluss fassten, das Festival "Tage Neuer Musik“ zu veranstalten, war dies ein Befreiungsschlag gegen die offizielle DDR-Kulturpolitik, die dogmatisch und ideologiegesteuert war. Durch das Bekenntnis zu Karlheinz Stockhausen, mit dem ich seit meinem 14. Lebensjahr korrespondierte, erhielt die Veranstaltung zusätzliche Brisanz. Die Dorfkirche in Denstedt mit ihrer Liszt-Orgel stand uns als Nische vor den Toren Weimars zur Verfügung. So gelang es, an drei Tagen 22 seiner Kompositionen aufzuführen. Seine elektronischen Werke erklangen erstmals in der DDR, wofür er Kopien zur Verfügung stellte. Das 1980/81 gegründete Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM) musizierte mit Markus Stockhausen (Trompete/Flügelhorn), der seit 1984 jährlich zu uns in die DDR kam.
Noch heute bin ich stolz auf meine Öffentlichkeitsarbeit für eine nicht genehmigte Veranstaltung. Es gab im Vorfeld zum Teil ganzseitige Zeitungsartikel und danach ausführliche Rezensionen. Der Allgemeine Deutsche Nachrichtendienst vermeldete sechs DDR-Erstaufführungen, was die westdeutschen Agenturen übernahmen. Radio DDR II schnitt eines der Konzerte mit. "Musik und Gesellschaft“ entsandte eine Kritikerin, die ebenfalls einen ganzseitigen Artikel brachte.
Irritationen blieben nicht aus. So wurde ich zu einem Gespräch ins DDR-Kulturministerium nach Berlin eingeladen, wo man mir dringend riet, mich mehr für DDR-Komponisten einzusetzen. Dem zum Trotz kam im September 1989 der Obertonsänger und Komponist Michael Vetter (Freiburg/Breisgau) zu acht Konzerten in die wiederum übervolle Dorfkirche.
Die Klang Projekte Weimar wurden am 17. Dezember 1989 als “Unabhängige Vereinigung für Musik der Gegenwart” im Zeichen der Friedlichen Revolution gegründet, "um frei von ideologischer Beeinflussung eigenständig für zeitgenössische Musik einzutreten".
Die Wende machte es 1990 möglich, das Festival in Weimar anzusiedeln. So standen bereits im dritten Jahr synästhetische Impulse des Bauhauses im Fokus, die in der Kombination mit Tanz und Projektion sowie einer aufwendigen Produktion von Hans Tutschku im Planetarium Jena realisiert wurden. Die Entscheidung, jedes Jahr ein spezielles Thema zu wählen, sollte das Festival vor Beliebigkeit bewahren.
Als Karlheinz Stockhausen 1992 zu den 5. Tagen Neuer Musik mit seinen Solisten nach Weimar kam, steuerte er nicht nur zwei Uraufführungen bei, sondern übernahm auch das Ehrenpatronat des Festivals und der Klang Projekte Weimar.
Bei der Wahl der Ehrenpatrone ging es auch in der Folgezeit darum, Persönlichkeiten zu ehren, die selbst Musikgeschichte geschrieben haben und sich als Zeit-Zeugen in das aktuelle Geschehen einbringen. Zu ihnen gehörten der inzwischen verstorbene Henry Pousseur (Belgien) sowie die hochbetagten Komponisten Francis Dhomont (Frankreich) und Christian Wolff (USA).
Es gibt unendlich viele schöne Momente, an die rückblickend auf drei Jahrzehnte zu erinnern wäre. Dafür sollen einige Fotos aus dem Archiv sprechen. Nachdem wir uns von 1988 bis 2000 darum bemühten, den DDR-bedingten Nachholbedarf konzertant aufzuarbeiten, stehen seit dem neuen Jahrtausend aktuellste Entwicklungen im Mittelpunkt, aber auch kontinentale oder Länder-Schwerpunkte. "Dass Weimar einen Knotenpunkt in der Landkarte der internationalen zeitgenössischen Musik bildet, verdanken wir nicht zuletzt den Tagen Neuer Musik“, konstatierte 2016 Kulturminister Prof. Dr. Benjamin-Immanuel Hoff in seinem schriftlichen Grußwort. Neue Kammermusik mit Live-Elektronik, multimediale / grenzüberschreitende Projekte und elektroakustische Musik prägen auch in Zukunft das Profil des Festivals.
Darüber hinaus ist seit 1991 viel Neues unter dem Dach der Klang Projekte Weimar e.V. gewachsen: die thüringenweiten Zyklen NEUE WEGE ZUR MUSIK – WEGE ZUR NEUEN MUSIK und KLANG – RAUSCH – ORGEL, die DADA-DEKADE 2012-2022 mit jährlichem DADAMENTA-Open-Air und Begleitzyklus und die KONZERTE AN DER LISZT-ORGEL mit eingebauter Winddrossel für experimentelle Klang-Erzeugung. Hinzu kommt seit 1999 das wöchentliche einstündige Magazin NEUE TÖNE auf Radio Lotte Weimar mit interaktiven Projekten wie der "Avantgardistischen Hausmusik als Hausgeräte-Musik“, Live-Konzerten im Zusammenspiel mit den Zuhörern ("Bei Anruf Konzert!“) oder dem stadtweiten Hup-Konzert "Es ist fünf Minuten nach zwölf!“ anlässlich des ersten NPD-Aufmarsches in Weimar 2001 sowie seit 2015 die monatlich halbstündige Show DADA ROYAL auf Salve und im Web-TV.
Im Rahmen der Aktivitäten zur DDR-Aufarbeitung entwickelten die Klang Projekte Weimar ab 2009 einen Zyklus mit der Künstlerin, Schriftstellerin und DDR-Bürgerrechtlerin Gabriele Stötzer, die dafür neue Texte schrieb, die vom Ensemble für Intuitive Musik Weimar (EFIM) unmittelbar improvisatorisch umgesetzt wurden (Gabriele Stötzer – das brennen der worte im mund – ARTE FAKT Verlagsanstalt, 2016).
Seit ihrer Gründung widmen sich die Klang Projekte Weimar der Förderung des Ensembles für Intuitive Musik Weimar (EFIM), das bisher in 30 Ländern gastierte.
Es ist beglückend, wenn konzeptionelle, musikpraktische und organisatorische Arbeit sich wechselseitig beeinflussen und eine Einheit bilden können. Dafür sei allen bisherigen Wegbegleitern und Förderern von Herzen gedankt."
Michael von Hintzenstern
Künstlerischer Leiter der Tage Neuer Musik in Weimar
30. Tage Neuer Musik in Weimar (20.-28. Oktober 2017): Konzert-Installationen – Installations-Konzerte
Die 30. Tage Neuer Musik in Weimar widmen sich grenzüberschreitenden Mischformen, die sich zwischen Klangkunst-Präsentation und konzertanter Aufführungspraxis bewegen. Die Komponisten Erwin Stache (Leipzig), Tim Helbig (Jena) und Bernd Bleffert (Trier) gestalten dabei Aufführungsräume, in denen sie vokal und instrumental mit von ihnen geschaffenen Objekten agieren. Ein über Navigation gesteuerter Lautsprecherchor gehört ebenso dazu wie Droschken im Weimarhallenpark, deren Klänge sich in Abhängigkeit von der Fahrgeschwindigkeit verändern. Hans Tutschku (Boston) beteiligt sich mit einer Klanginstallation, in der die religiösen Gesänge verschiedener Kulturen miteinander harmonieren. In einem Konzert für Lautsprecherorchester werden wegweisende Werke elektroakustischer Musik vorgestellt. Zwei begleitende Ausstellungen in der Galerie Eigenheim und der Galerie Markt 21 beleuchten die vielfältigen Beziehungen zwischen Klang und bildender Kunst.
20.10., 19.30 Uhr, Galerie Eigenheim, Weimarhallenpark*:
Eröffnung: A Sort of Sound – multidisziplinäre Ausstellung zum Klang in der bildenden Kunst
(21.10. bis 02.12.2017, Do bis Sa, 16-19 Uhr)
21.10., 21.00 Uhr, Galerie Markt 21*:
Eröffnung: Statements of Movement - Klang-Installationen von Bernd Bleffert und Zeichnungen von Klaus Maßem aus Trier (22.10. bis 15.11., täglich 16 bis 23.00 Uhr)
25.10., 19.30 Uhr, Jakobskirche:
Start der Klanginstallation "Stimmen im Kirchenschiff“ von Hans Tutschku (Boston) Konzert des "Ensembles für Intuitive Musik Weimar“ (EFIM) - Klanginstallation "Stimmen im Kirchenschiff“ von Hans Tutschku (Boston)
Dauer der Klanginstallation: 26.10. bis 11.11.2017 (Mo- Fr: 10-12 und 16-18 Uhr, So: 16-18 Uhr)
26.10., 19.30 Uhr, Goetheplatz und Jugend- und Kulturzentrum "mon ami“:
Erwin Stache (Leipzig): Klangruck – Konzertinstallation für präpariertes Sportschlagduett, mobilen Lautsprecherchor und Selbstspielpianist
26.10., 22.00 Uhr, Studio für elektroakustische Musik, Coudraystr. 13a:*
Konzert für Lautsprecherorchester – Werke von François Bayle, Ludger Brümmer und Hans Tutschku
27.10., 19.30 Uhr, Jugend- und Kulturzentrum "mon ami“:
Tim Helbig (Jena): Syn:klang für experimentelle Objekte, Stimme, Live-Elektronik, E-Gitarre und Bassklarinette
28.10., 16.30 Uhr, Galerie Eigenheim
Buchpräsentation und Autorengespräch
Christoph von Blumröder: "Die elektroakustische Musik.
Eine kompositorische Revolution und ihre Folgen“
28.10., 19.30 Uhr, Jugend- und Kulturzentrum "mon ami“:
Bernd Bleffert (Trier): "moments of movement ...“ – musikalische Aktionen für Knochen, Stöcke und pendelnden Sand