Stehen die Chancen gut für die Kulturelle Bildung der nächsten Jahre? Deutet man die jüngsten politischen Signale aus Berlin, so sieht es danach aus. "Zumindest gilt das für die Quantität der Angebote Kultureller Bildung im non-formalen Bereich und ihre finanziellen Ausstattungen: Der Wille zur Fortsetzung des Programms ‚Kultur macht stark‘ über die Bundestagswahl 2017 hinaus oder die Initiative des neuen ‚BKM-Sonderpreises für kulturelle Projekte mit geflüchteten Menschen‘ zeigen dies in den vergangenen Wochen immer deutlicher“, sagt Prof. Dr. Eckart Liebau, Vorsitzender des Rates für Kulturelle Bildung und Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Kulturelle Bildung an der Universität Erlangen-Nürnberg. Auch die aktuelle Aktionswoche ‚Kultur öffnet Welten‘ der Staatsministerin für Kultur und Medien stoße auf breite Resonanz in der Öffentlichkeit und beflügele damit eine Debatte über die Anforderungen im Bereich der Kulturellen Bildung.
"Der bloße Blick auf Teilnehmerzahlen und leuchtende Kinderaugen reicht aber nicht aus“, so Liebau weiter. Eine der wichtigsten Anforderungen – das habe der Rat bereits 2013 in seiner ersten Denkschrift "Alles immer gut. Mythen Kultureller Bildung“ formuliert – sei die genauere Wahrnehmung und Reflexion der Realitäten in der Kulturellen Bildung: "Denn es gibt auch gescheiterte oder unausgereifte Projekte. Die Frage nach der Qualität muss daher systematisch gestellt werden. Dabei müssen dann auch die zahlreichen legitimatorischen Mythen Kultureller Bildung – dass eben alles immer gut sei – hinterfragt werden. Überzogenen Hoffnungen und Wirkungsversprechungen muss man gerade dann entschieden entgegentreten, wenn man Kulturelle Bildung nachhaltig fördern will.“
Kultur für alle sei eine unverändert gültige Forderung. "Dieser Leitsatz ist in den nächsten Jahren aber kritisch zu erweitern: Kultur für alle – aber in guter Qualität und mit realistischer Wahrnehmung der Bedingungen, Prozesse und Ergebnisse“, so Liebau weiter. Bewusst stellte der zwölfköpfige, unabhängige Expertenrat daher die Qualitätsfrage ins Zentrum seiner Arbeit. Eine wesentliche Dimension der Qualität ist dabei die Frage der Teilhabe. Wer aber Teilhabe erreichen will, muss quantitativ hinreichende Zugänge eröffnen und qualitativ hochwertige Angebote machen – diese Botschaft formulierte die Denkschrift "Schön, dass ihr das seid. Kulturelle Bildung: Teilhabe und Zugänge“ im Herbst 2014. "So erfreulich das Wachstum in der außerunterrichtlichen Kulturellen Bildung auch ist, so bleibt die Frage der Grundversorgung im Sinne der Zugänge zu Kultureller Bildung insbesondere in der vorschulischen und schulischen Bildung doch unbefriedigend“, so Liebau weiter.
Auch der erfreulich voranschreitende, bundesweite Ausbau der Ganztagsschulen lässt das Angebot Kultureller Bildung im unterrichtsergänzenden Bereich wachsen. "Aber was genau, nach welchen Maßgaben, in welcher pädagogischen Qualität und von welchen Kräften mit welcher Qualifizierung da angeboten wird, das weiß über Einzelbeispiele hinaus keiner so genau. Es gibt dafür weder hinreichend bestimmte Qualifikationsanforderungen noch eine Qualitätskontrolle, die auch nur annähernd jener für den Schulunterricht ähnelt“, ergänzt Eckart Liebau.
Doch ebenso im curricularen Bereich gelte es, sich den Realitäten stärker zu stellen. Im Sommer 2015 deckte die im Auftrag des Rates vom renommierten Allensbach-Institut durchgeführte Studie "Jugend/Kunst/Erfahrung – Horizont 2015“ auf: 17 Prozent der Schülerinnen und Schüler in 9. und 10. Klassen an allgemeinbildenden Schulen haben bundesweit keinen Kunstunterricht, 22 Prozent keinen Musikunterricht. Hinzu kommen 33 Prozent, bei denen Kunst und 27 Prozent, bei denen Musik mehr als selten ausfallen. Dieses Defizit können noch so gute außerschulische Programme nicht kompensieren. Auch aus diesem Grund ist die Entwicklung eines regelmäßigen Bildungsmonitorings für den gesamten Bereich der Kulturellen Bildung unabdingbar, so das Fazit des Expertenrates.
Die Allensbach-Studie macht zudem deutlich, dass ein Drittel der 9. und 10.-Klässler sich auch bei vorhandenem Angebot weder für Klassische Musik noch für Theater, Tanz oder weitere künstlerische Formen der Kulturellen Bildung interessiert – gleichgültig, ob sie im formalen oder non-formalen Bereich angeboten werden. Es ist also nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Angebote entscheidend, wie etwa die jüngste Denkschrift des Rates für Kulturelle Bildung "Zur Sache. Kulturelle Bildung: Gegenstände, Praktiken und Felder“ (2015) zeigt.
Liebau dazu: "Damit stellt sich in aller Schärfe die Frage nach der Qualität von künstlerischen Inhalten und pädagogischer Vermittlung. Das betrifft umso mehr Kinder aus bildungsfernen Milieus, die im Elternhaus nur wenig Unterstützung im kulturellen Bereich erfahren. Initiativen wie zum Beispiel die vielbeachtete Abschaffung des Eintrittspreises im Essener Folkwang-Museum zeigen, dass der Wegfall der monetären Hürde allein nicht ausreicht. Teilhabe setzt nicht nur Zugangsmöglichkeiten, sondern auch Teilhabefähigkeiten und -interessen voraus. Die entscheidende Aufgabe liegt daher darin, das Interesse für die kulturellen Gegenstände zu wecken und durch entsprechend attraktive und stabile Angebote zu stärken.“
Aus diesen Gründen empfiehlt der Rat mit Blick auf die nahende Bundestagswahl 2017, die Weichen für eine gute Grundversorgung zu stellen, und zwar so, dass diese dem Anspruch "Kultur für alle“ tatsächlich gerecht werden könne:
1. Die künstlerischen Fächer und Bereiche im formalen Bildungsbereich müssen ausgebaut und aufgewertet werden, auch im Blick auf Abschlüsse und Berechtigungen.
2. Die Kulturelle Bildung im non-formalen Bereich muss auch in ihrer Qualitätsentwicklung systematisch gefördert werden.
3. Der Auf- und Ausbau Kommunaler Kultureller Bildungslandschaften ist besonders im Blick auf die Ganztagsangebote in der vorschulischen und schulischen Bildung eine dringende gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
4. Dabei muss eine evidenzbasierte Politik im Bereich der Kulturellen Bildung wesentlich stärker nach den wissenschaftlichen und den künstlerischen Grundlagen fragen. Notwendig sind ein regelmäßiges, umfassendes, unabhängig durchgeführtes wissenschaftliches Monitoring der Kulturellen Bildung und ein systematischer Ausbau der Forschung.
5. Nötig ist darüber hinaus die Weiterentwicklung von Strukturen der Qualitätsentwicklung und -sicherung auf wissenschaftlicher und künstlerischer Grundlage, etwa im Rahmen eines von Bund, Ländern, Gemeinden und Zivilgesellschaft getragenen Qualitätsinstituts.
Der Rat für Kulturelle Bildung sieht seine Aufgabe darin, mit seinen Analysen und Empfehlungen zu dieser Entwicklung beizutragen.