Beim Musikwirtschaftsgipfel diskutieren seit heute (14. Juni 2018) Vormittag die 16 wichtigsten Verbände und Institutionen der Musikbranche öffentlich mit hochkarätigen Vertretern der Bundesregierung und Opposition. Dabei geht es in vier Sessions um die drängenden Belange der beteiligten Akteure aus allen Teilen der Musikbranche. Die deutsche Musikwirtschaft spricht in dieser Form erstmals gemeinschaftlich mit der Bundespolitik. Ein Ziel der Konferenz ist es, die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der Musikwirtschaft in den Vordergrund zu rücken. Dabei wollen die Branchenvertreter lösungsorientiert mit der Politik darüber sprechen, wie bessere Rahmenbedingungen für die Musikschaffenden in Deutschland hergestellt werden können.
Eröffnet wurde Agenda Spezial durch Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters (das Redemanuskript findet sich unten).
Initiiert wurde die gemeinschaftliche Konferenz durch Prof. Jens Michow, Präsident des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft (bdv): "Es ist aus meiner Sicht höchste Zeit, dass die Musikwirtschaft sich gemeinsam artikuliert, ihren kulturwirtschaftlichen Stellenwert veranschaulicht und auch zukünftig – wann immer es Sinn macht – mit einer Stimme spricht. Insoweit hat die Agenda-Konferenz auch eine gewisse historische Bedeutung und hoffentlich eine starke Signalwirkung für unseren Wirtschaftszweig.“
Der Aufsichtsratsvorsitzende der Initiative Musik Prof. Dieter Gorny unterstreicht die Bedeutung der Veranstaltung für die Musikwirtschaft: "In einer digitalen Gesellschaft und digitalisierten Kulturwirtschaft hängt die Entwicklung der Musik sowohl kulturell als auch ökonomisch entscheidend von einer intensiveren Förderung und besseren Abstimmung der Einzelbereiche ab. Sie eröffnet eine Vielzahl an Möglichkeiten für die Zukunft hier in Deutschland und in Europa.“
In der Eröffnungssession wird z.B. über den "Value-Gap“ im Hinblick auf den Digitalmarkt, das EU-Urheberrecht und die Künstler gesprochen, denn Online-Plattformen müssten verpflichtet werden, die Urheber wie auch die Kultur- und Kreativwirtschaft angemessen an den Erlösen zu beteiligen. Darüber hinaus geht es um Wertschöpfungslücken im Veranstaltungsmarkt und "das wachsende Geschwür des Ticketzweitmarkts“. Eine gesetzliche Regulierung des Weiterverkaufs von Eintrittskarten ist dabei eine der zentralen Forderungen.
Im Rahmen der 2. Vormittagssession zu "Abgaben und Steuern“ wird z.B. eine Novellierung des Künstlersozialversicherungsgesetzes angeregt. Die Erfüllung der Abgabepflicht sei insbesondere - aber nicht nur - für die Musikwirtschaft mit einem unzumutbaren Bürokratieaufwand verbunden. Um das System zukunftsfähig zu machen, sei es dringend erforderlich, den Abgabepflichtigen die Ermittlung ihrer Abgabeschuld zu erleichtern. Weiter wird eine Reform des § 8 Nr.1e Gewerbesteuergesetz debattiert. Beim Thema Doppelbesteuerung wird deutlich gemacht, dass die gesetzlich vorgesehene Freistellung der inländischen Lizenzeinnahmen ausländischer Urheber von der Besteuerung in der letzten Zeit erheblich erschwert worden seien.
Am Nachmittag wird u.a. über die Weiterentwicklung der Musikförderung in Deutschland debattiert. Das Programm wird dabei durch einen Impulsvertrag von Prof. Dieter Gorny fortgesetzt. Die Debatte zur Musikförderung, mit Themen wie z.B. Musikalische Bildung, Musikwirtschaftsförderung für kleine und mittlere Musikunternehmen, regionale Vielfalt und Musikexport, dreht sich auch um die Nachwuchsförderung junger Musikerinnen und Musiker. So sollten Kleinstkonzerte, die die kulturelle Vielfalt von Rock, Pop und Jazz als identitätsstiftende Erlebnisse schaffen, unbürokratisch bezuschusst werden.
In der abschließenden Session wird über den Kulturraumschutz, die Infrastruktur und energetische Sanierung von Veranstaltungshallen sowie aktuelle Herausforderungen für den Handel mit Musikinstrumenten und für Technologie-Startups diskutiert. Hier geht es um eine Stärkung der Technologie- und Digitalkompetenzen der Musikwirtschaft.
Die Tagesspiegel-Konferenz Agenda Musikwirtschaft zeigt hochkomprimiert und hochkarätig besetzt, welchen Themen sich die Bundesregierung aus Sicht der Musikwirtschaft stellen muss, um Musikschaffende und Kreativität zu schützen. Erstmals bündelten dafür die wichtigsten 16 Verbände und Institutionen der Musikbranche ihre Positionen gegenüber der Politik, um diese öffentlich zur Diskussion zu stellen. Agenda Musikwirtschaft wird mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien durch das deutsche Popmusikförderbüro Initiative Musik unterstützt. Der Musikwirtschaftsgipfel findet auf Anregung des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft mit Unterstützung der beteiligten Verbände und Institutionen der Musikbranche statt.
--- Positionen der Musikwirtschaft (Auszug) ---
1. REGULIERUNG VON ONLINE-PLATTFORMEN
"Value Gap“ im Digitalmarkt
"Jede Form der Online-Nutzung musikalischer Inhalte muss an Lizenzen geknüpft sein, die am Markt verhandelt werden. Das muss auch für User Upload-Plattformen wie YouTube gelten.“, Dr. Florian Drücke, Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer, Bundesverband Musikindustrie e.V.
"Value Gap“ im EU-Urheberrecht
"Der Zugang zu musikalischen Werken erfolgt immer mehr über Online-Plattformen. Sie dürfen demokratisch beschlossene Regeln wie das Urheberrecht, die Medienregulierung, den Daten- und Jugendschutz oder die Steuergesetzgebung nicht einfach aushebeln. Aufgrund der besonderen Stellung müssen Online-Plattformen ihrer Verantwortung gerecht werden.“, Dr. Harald Heker, Vorstandsvorsitzender, GEMA – Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte
"Value Gap“ aus Sicht der Künstler
"Wir Komponist*innen und Künstler*innen stellen Produkte her; der wirtschaftliche Ertrag landet zu großen Teilen in der IT-Branche. Das ist nicht gerecht! Wir fordern vom Europäischen Gesetzgeber eine Pflicht zur Lizenzierung für jede Nutzung unserer Werke!“, Micki Meuser, Musiker und Mitglied des Vorstands, Deutscher Komponistenverband
Wertschöpfungslücken im Veranstaltungsmarkt
"Künstler und Veranstalter fordern eine gesetzliche Regulierung des Weiterverkaufs von Eintrittskarten und eine strafrechtliche Sanktion der Missachtung von Weiterverkaufsverboten“, Dr. Johannes Ulbricht, Justiziar, bdv Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft e.V.
2. STEUERN UND ABGABEN
Doppelbesteuerung
"Die Definition des Verwerters muss im Sinne der Kultur- und Kreativwirtschaft angepasst werden. Es kann nicht sein, dass jedes Unternehmen, das mit Rechten arbeitet, als "Verwerter“ definiert wird und als solcher nicht freigestellt werden kann“, Birgit Böcher, Stellvertretende Geschäftsführerin, DMV – Deutscher Musikverleger-Verband e.V.
Künstlersozialversicherung
"Unternehmen beklagen unverhältnismäßigen Bürokratieaufwand bei der Ermittlung der Künstlersozialabgabe. Die Anwendung des KSVG muss vereinfacht werden“, Prof. Jens Michow, Geschäftsführender Präsident, bdv Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft e.V.
Gewerbesteuer
"Der Gesetzgeber muss § 8 Nr. 1e GewStG für die Kulturwirtschaft reformieren“, Prof. Dr. Johannes Kreile, Geschäftsführender Justiziar, Verband der Deutschen Konzertdirektionen e.V.
3. MUSIKFÖRDERUNG
Musikalische Bildung
"Vier Stunden Unterricht pro Woche einschließlich aktivem Musizieren und Einbezug der Digitalisierung in der Musik wird in allen vorschulischen und schulischen Einrichtungen bundesweit Standard“, Prof. Udo Dahmen, Künstlerischer Direktor und Geschäftsführer, Popakademie Baden-Württemberg GmbH & Vizepräsident, Deutscher Musikrat e.V.
Grassroot-Förderung
"100 Euro Künstlerzuschuss und 100 Euro Clubzuschuss für jedes Kleinstkonzert in Deutschland“, Karsten Schölermann, Gründungsmitglied und Mitglied des geschäftsführenden Vorstands, LiveMusikKommission e.V.
Musikwirtschaftsförderung für KMU
"Nachhaltige Förderung von Mobilität und Internationalisierung von Musikunternehmen zur Erschließung neuer Märkte und zum Ausbau internationaler Wettbewerbsfähigkeit“, Desirée Vach, Vorstandsvorsitzende, VUT – Verband unabhängiger Musikunternehmen e.V.
Förderung aus Sicht der Kreativen
"Die bestehenden Programme und Einrichtungen wie APPLAUS, Musikfonds und auch Initiative Musik müssen gestärkt werden. Die finanzielle Ausstattung des APPLAUS ist gemessen an der großen Club-Landschaft unzureichend“, Julia Hülsmann, Gastprofessorin, Universität der Künste & Jazzpianistin
Regionale Vielfalt
"Beteiligung des Bundes am Aufbau und dem nachhaltigen Ausbau der Fördereinrichtungen in den Ländern“, Markus Graf, Vorstand, Bundesverband Popularmusik e.V. & Geschäftsführender Vorsitzender des Vorstands, LandesArbeitsGemeinschaft Rock & Pop in Rheinland-Pfalz e.V.
Musik-Export
"Stärkere Verzahnung der Exportförderungen zur Professionalisierung der Musiker und Musikerinnen sowie der Unternehmen der Musikwirtschaft in Bund und Ländern“, Ina Keßler, Geschäftsführerin, Initiative Musik gGmbH
4. UMWELT UND INFRASTRUKTUR
Kulturraumschutz
"Wir fordern das Agent of Change-Prinzip im Städtebau: Heranrückende Neubebauung muss für erforderlichen Lärmschutz selbst sorgen“, Thore Debor, Sprecher des Arbeitskreises Kulturraumschutz, LiveMusikKommission e.V.
Infrastruktur in Hallen
"Energetische Sanierung führt zu wirtschaftlichen Einsparungen, aber auch zur Stärkung der kommunalen Daseinsvorsorge und Kulturförderung. Wir fordern, dass Veranstaltungshäuser explizit in die Förderprogramme (Kommunalrichtlinie) der Nationalen Klimaschutzinitiative integriert werden.“ Ilona Jarabek, Vizepräsidentin, EVVC Europäischer Verband der Veranstaltungs-Centren e.V.
Musikinstrumentebau
"Mit Blick auf die massiven Wettbewerbsnachteile für die deutsche Musikinstrumentenbranche, ist es dringend geboten, schnellstmöglich eine Legalausnahme in die Bundesartenschutzverordnung aufzunehmen“, Daniel Sebastian Knöll, Geschäftsführer, SOMM – Society Of Music Merchants e.V.
Technologie-Startups
"Auf- und Ausbau von Programmen zur Förderung von Technologie- und Digitalkompetenzen innerhalb der Musikwirtschaft und Beauftragung einer Studie über die wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung von Musiktechnologie-Innovationen“, Matthias Strobel, Vorstand, Bundesverband Musiktechnologie Deutschland e.V.
--- Rede von Staatsministerin Prof. Monika Grütters MdB ---
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien zur Eröffnung der Tagesspiegel-Konferenz "Agenda Spezial - Der Musikwirtschaftsgipfel“ am 14. Juni 2018 in Berlin:
"[...] Eine Tagung auf die Beine zu stellen, ist in gewisser Hinsicht ein bisschen wie einen Popsong komponieren: Damit ein Hit daraus wird, der die Zuhörer von den Stühlen reißt, braucht es eine harmonische Struktur, die für Wohlgefühl und gute Stimmung sorgt, eine Melodie, die leicht ins Ohr geht, und einen pulsierenden Rhythmus, der das Bewegungszentrum im Gehirn anregt.
Genau das verspricht der heutige Musikwirtschaftsgipfel:Als gemeinsame Branchenveranstaltung versammelt er sämtliche Teilsektoren der heterogenen Musikwirtschaft - bei allen Dissonanzen, die es angesichts unterschiedlicher Interessen gibt, ein beeindruckendes und kulturpolitisch erfreuliches Signal der Harmonie im gemeinsamen Bemühen, die Vielfalt der deutschen Musiklandschaft nicht nur zu erhalten, sondern sie auch weiter zu entwickeln! Darüber freue ich mich!
Als Forum der Verständigung bündelt und verbindet er unterschiedliche Positionen zu einer eingängigen Melodie: nämlich zur berechtigten Forderung nach angemessenen politischen Rahmenbedingungen für das digitale Zeitalter. Durchgetaktet in vier Sessions und ausgelegt auf Publikumsbeteiligung schließlich regt das interaktive Konferenzformat wie ein lebhafter Rhythmus zur Bewegung im Geiste an: zum Mitdenken und Mitdiskutieren.
All das verspricht eine interessante und inspirierende Konferenz, die ich über die Initiative Musik gerne mit Mitteln aus meinem Kulturetat unterstützt habe und von der ich mir insbesondere Erkenntnisse erhoffe, was die Bundesregierung aus Ihrer Sicht, meine Damen und Herren, auf dem Feld der Kulturpolitik noch mehr als bisher zu einer florierenden Musikwirtschaft auch im Zeitalter der Digitalisierung beitragen kann.
Vielen Dank für die Einladung, lieber Herr Turner, und vielen Dank auch an Frau Knoll und Frau Möller für ihre engagierte Arbeit!
Ich nutze gerne die Gelegenheit, auf die Anliegen aus den unterschiedlichen Branchen der Musikwirtschaft einzugehen, meine Damen und Herren, und – soweit mein Ressort, die Kulturpolitik angesprochen ist – die Position und die Pläne der Bundesregierung dazu zu erläutern. Wo es um die Zuständigkeiten des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz geht, werden Sie nachher sicherlich von Frau Staatssekretärin Wirtz (BMJV) mehr dazu hören.
Aus kulturpolitischer Sicht geht es vor allem um die Frage, wie die Vielfalt des musikalischen Schaffens und des musikalischen Angebots in Deutschland sich erhalten lässt, während neue technische Möglichkeiten die Finanzierung dieses Schaffens und dieses Angebots radikal verändern. Das liegt daran, dass die Musik längst im digitalen Raum spielt. Man kann das nicht nur an den erhellenden Zahlen und Statistiken ablesen, die der Bundesverband Musikindustrie regelmäßig in seinem Jahrbuch "Musikindustrie in Zahlen“ veröffentlicht. Die Veränderungen im Zuge der Digitalisierungen gehen auch - im wahrsten Sinne des Wortes - direkt ins Ohr. So widmete sich ein amerikanischer Journalist vor einiger Zeit im Online-Magazin Pitchfork der Frage, wie Spotify den Popsong verändert, oder allgemeiner formuliert: was es für das musikalische Angebot bedeutet, wenn die Nachfrage sich zunehmend auf das Audio-Streaming verlagert.
Im Zeitalter des digitalen Streamings, so seine These, klingen - genauer: beginnen Pop Songs anders als früher. Sie nehmen sich weniger Zeit, sie wagen weniger Experimente, sie beginnen direkt mit "catchy bits“, mit akustischen Appetizern gleich in den ersten 20, 30 Sekunden - wie beispielsweise der Hit "Despacito“, Top 2 in den deutschen Single-Charts 2017.
Den Grund muss ich hier vermutlich gar nicht weiter erläutern. Sie alle, ob Künstlerinnen und Künstler, ob Produzentinnen und Produzenten – können ja selbst ein Lied davon singen: Der streamende Hörer ist ein ungeduldiger Hörer. Er skippt weiter, wenn ein Song nicht gleich ins Ohr geht. Für die Pop-Charts zählen aber nur diejenigen Spotify-Klicks, die einem Song mindestens 30 Sekunden Abspielzeit bescheren. Die erste halbe Musikminute ist also im Wettbewerb um Aufmerksamkeit so wichtig wie nie zuvor, und deshalb braucht es möglichst früh jene "catchy bits“, jene akustischen Appetizer, die einen Song im besten Fall noch vor dem Refrain zum Ohrwurm machen.
Die Digitalisierung betrifft also längst nicht nur Fragen der Finanzierbarkeit von Inhalten, sondern auch die Inhalte selbst. Sie hat nicht nur den Musikmarkt, sondern auch die Musik selbst erfasst, meine Damen und Herren. Ja, nach zwei Jahrzehnten massiven Strukturwandels, der die Musikindustrie noch mehr als viele andere Branchen unter Druck gesetzt und bisherige Geschäftsmodelle ins Wanken gebracht hat, ist das Zusammenschrumpfen des musikkulturellen Angebots auf den gut konsumierbaren Mainstream - und damit auf Kosten der künstlerischen Vielfalt - keineswegs Zukunftsmusik, sondern längst Realität. Ein Titel wie "Locomotive breath“ von Jethro Tull mit seiner genialen 44-Sekunden-Einleitung hätte heute wohl weniger Hit-Potential… . Eine Frage, die sich daraus ableitet, ist: Was kann die Musikwirtschaft, was kann aber auch die Kulturpolitik dafür tun, dass Kreativität, künstlerische Originalität und damit Vielfalt eine Chance haben?
Nicht zuletzt aus den Diskussionen um die Teilnahmebedingungen für den APPLAUS, unseren Preis für Livemusik-Clubs, weiß ich, was die veränderten Rahmenbedingungen insbesondere für Künstlerinnen und Künstler bedeuten.Viele können inzwischen nicht mehr wie früher vom Verkauf ihrer Alben leben, und zu Lasten der Kreativen geht auch, dass Musikclubs das finanzielle Risiko eines Auftritts noch unbekannter Musikerinnen und Musiker heute vielfach nicht mehr alleine stemmen können und die Auftretenden beteiligen müssen.
Angesichts des unfairen, kultur- wie wirtschaftspolitisch absolut inakzeptablen Ungleichgewichts zwischen den Erträgen digitaler Plattformen einerseits und denen der Künstler und Kreativen andererseits ist es überfällig, bei der Regulierung von Plattformen andere Saiten aufzuziehen. Dafür habe ich mich schon in meiner ersten Amtszeit eingesetzt, und deshalb freue ich mich, dass wir – Union und SPD – das nun auch im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Plattformen sollen nicht die Möglichkeit haben, ihre Geschäftsmodelle auf Kosten der Urheber und Rechtsinhaber zu verfolgen; sie sollen die Urheber angemessen beteiligen und bei der Verhinderung von Rechtsverletzungen aktiv mitarbeiten müssen.
Das Ringen um ein modernes Urheberrecht auf europäischer Ebene bietet die Chance einer klaren gesetzlichen Regelung, die einen rechtssicheren Rahmen für die Kultur- und Kreativwirtschaft wie auch für die Internetwirtschaft definiert, und ich freue mich, dass wir diesem Ziel am 25. Mai in Brüssel mit der Erteilung des Mandats für die Aufnahme von Trilog-Verhandlungen ein Stückchen näher gekommen sind. Auch wenn bei der Vielzahl unterschiedlicher Interessen nicht alles durchsetzbar war, was aus kulturpolitischer Sicht wünschenswert wäre, ist diese auf Botschafterebene erzielte Position mit Blick auf die gut eineinhalbjährigen Verhandlungen eine gute Basis für die weiteren Verhandlungen.
Ich bin sicher: Da ist für alle Beteiligten Musik drin! Bei der Mitberatung im Urheberrecht behalten wir gegenüber dem federführenden Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz weiterhin die "kulturpolitische Brille“ auf. Ich werde mich dafür einsetzen, im Rahmen der laufenden Reform des Urheberrechts für die Künstlerinnen und Künstler und für die Kultur- und Kreativwirtschaft das Bestmögliche heraus zu holen.
Das gilt natürlich nicht nur für die Regulierung von Plattformen, dem ersten Themenfeld, dem Sie sich heute widmen werden, meine Damen und Herren, sondern auch für die Gestaltung von Steuern und Abgaben, um die es in Session 2 geht. Auch hier kann die Politik durch geeignete Rahmenbedingungen Freiraum für Künstler und Kreative schaffen. Dafür steht als große kultur-politische Errungenschaft die Künstlersozialversicherung, die es selbständigen Künstlern und Kreativen ermöglicht, sich weitgehend wie Angestellte zu versichern: mit hälftiger Finanzierung von Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung durch die (ihre Leistungen verwertenden) Auftraggeber und durch den Staat. Das hat sich kulturpolitisch bewährt, doch auch hier erfordert die Digitalisierung wie auch die steigende Zahl der Versicherten Nachjustierungen.
Im Koalitionsvertrag bekennen Union und SPD sich ausdrücklich zur Künstlersozialversicherung. Eine Herausforderung wird dabei die Frage sein, wie wir künftig den digitalen Verwertungsformen in der Kultur- und Kreativwirtschaft und ihren Auswirkungen auf die Künstlersozialversicherung Rechnung tragen.
Mit Blick auf das Ziel, die Künstlersozialversicherung zukunftsfest zu machen, sind wir in der vergangenen Legislaturperiode schon ein gutes Stück vorangekommen: Wie Sie sicherlich wissen, liegt der Abgabesatz mit 4,2% aktuell einen Prozentpunkt unter dem Satz von 2016 – dank des Gesetzes zur Stabilisierung des Künstlersozialabgabesatzes. Dass das Künstlersozial-versicherungsgesetz in der praktischen Handhabung nicht immer einfach ist und insbesondere den Abgabepflichtigen Verwaltungsaufwand beschert, ist mir bewusst. Soweit ich informiert bin, hat sich der Beirat der Künstlersozial-versicherung bereits mit entsprechenden Vorschlägen an das federführende Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gewandt.
Ein offenes Ohr für solche Schwierigkeiten können Sie selbstverständlich aber auch immer von mir und meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erwarten. Auch wenn die Kulturpolitik bei der Gestaltung von Steuern und Abgaben nicht die erste Geige spielt, kann ich Ihnen zumindest versprechen, dass ich ins selbe Horn wie die Künstler und Kreativen stoße, wo immer es darum geht, deren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Auch mit Blick darauf wird die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode einen Bericht zur sozialen und wirtschaftlichen Situation der Künstlerinnen und Künstler und der Kreativen im Kultur- und Medienbereich vorlegen.
Den Ton angeben kann die BKM zwar nicht im Hinblick auf Steuern und Abgaben, aber zumindest in der Musikförderung. Damit bin ich beim dritten Themenfeld dieses Musikwirtschaftsgipfels. In den vergangenen Jahren habe ich – mit großer Unterstützung der Kultur- und Haushaltspolitikerinnen und -politiker im Deutschen Bundestag – die Musikförderung meines Hauses kräftig ausgebaut.
Wir haben unter anderem den Musikfonds gegründet, ein neues Orchesterprogramm aufgelegt und die Beteiligung an verschiedenen Musikfestivals in Deutschland erweitert. Ein Ziel ist dabei junge Bands zu promoten und genreübergreifende künstlerische Kollaborationen zu ermöglichen.
Außerdem haben wir bestehende Förderungen finanziell massiv gestärkt, darunter den Bereich der Initiative Musik, die zu ihrem zehnjährigen Jubiläum in diesem Jahr mit einer beeindruckenden Erfolgsbilanz aufwarten kann, nämlich insgesamt mit sage und schreibe 2.812 geförderten Projekten, für die mein Haus insgesamt rund 28 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat. Sie kamen in erster Linie der Künstlerförderung, der Förderung des professionellen Nachwuchses - dem Kerngeschäft der Initiative Musik – zugute, aber auch der musikkulturellen Infrastruktur, einem weiteren Förderschwerpunkt der Initiative. Ein wunderbares Beispiel für ein Projekt aus diesem Bereich ist der heutige Musikwirtschaftsgipfel, bei dem die Initiative Musik nicht nur finanziell, sondern auch personell stark engagiert ist. Ein herzliches Dankeschön deshalb an den Aufsichtsrat der Initiative Musik, insbesondere an Prof. Jens Michow – Initiator und Ideengeber für diese Veranstaltung – sowie an die Geschäftsführerin Ina Kessler und ihr Team
Für die Verdienste der Initiative Musik um die musikkulturelle Vielfalt in Deutschland steht nicht zuletzt auch die Unterstützung der kleinen und mittleren Musikclubs. Angefangen haben wir damit 2013 zunächst mit dem bereits erwähnten APPLAUS - einem Preis, der Clubs dafür belohnen und dazu ermutigen soll, auch jenseits des wirtschaftlich erfolgreichen Mainstreams künstlerisch herausragende Musikerinnen und Musiker ins Programm zu nehmen.
Seit 2015 gibt es darüber hinaus zwei weitere Förderprogramme; das eine unterstützt Musikclubs bei der Digitalisierung der Aufführungstechnik und wurde in diesem Jahr erneut aufgelegt, das andere lief im letzten Jahr und diente ganz allgemein der technischen Erneuerung und Sanierung – übrigens auch (so viel zum vierten Schwerpunktthema des heutigen Tages: Umwelt und Infrastruktur!) in den Bereichen Schallschutz und Energieeffizienz.
Im Zusammenhang mit unserer Musikförderung verdient last but not least auch die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft Erwähnung, die wir vor gut zehn Jahren zusammen mit dem Bundeswirtschaftsministerium aus der Taufe gehoben haben, um Künstler und Kreative zu fördern, die mit ihren Ideen die Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft beflügeln – so wie die Preisträgerinnen und Preisträger des Wettbewerbs Kultur- und Kreativpiloten, der zur Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft gehört. Im vergangenen Jahr waren aus der Musikbranche unter anderem das Projekt "Rap for Refugees“ (Rap-Workshops für geflüchtete Jugendliche und Straßenkinder und gemeinsame Veranstaltungen mit bekannten Künstler/innen) und das "Berlin Living Orchestra“ (Konzerte, die ein breiteres Publikum für die Klassische Musik begeistern wollen) vertreten. Bewerbungsschluss für den diesjährigen Wettbewerb ist der 1. Juli, und ich lade Kreative und junge Unternehmerinnen und Unternehmer aus der Musikbranche hiermit noch einmal ganz herzlich ein, sich zu beteiligen. Die Gewinnerinnen und Gewinner bekommen neben öffentlicher Aufmerksamkeit ein Jahr lang ein Coaching, das ihnen dabei hilft, ihre Ideen am Markt zu etablieren.
All diese Förderinstrumente dienen der Förderung der musikkulturellen Vielfalt, indem sie dem Druck der Verkaufszahlen –der Logik der Klick-Ökonomie auf Streaming-Plattformen – die Ermutigung zum künstlerischen Experiment jenseits des Mainstreams entgegensetzen. Auf diese Weise kann die Kulturpolitik dazu beitragen, dass Musik nicht nur als Wirtschaftsgut, sondern auch als Kulturgut eine Zukunft hat. Wir wenden uns damit gegen die Degradierung von Kulturgütern zur bloßen Handelsware und gegen die Bewirtschaftung einer geistigen und ästhetischen Monokultur, in der nur das überlebt, was sich gut verkauft.
In diesem Sinne, meine Damen und Herren, kann ich das Aus für den Musikpreis ECHO nur begrüßen – wenn ich es auch sehr bedaure, dass es einer Welle berechtigter öffentlicher Empörung angesichts der Auszeichnung von Songs mit teils menschenverachtenden, herabwürdigenden Texten bedurfte, um die Fragwürdigkeit eines Preises zu offenbaren, der das Klingeln der Kassen zum alleinigen Maßstab künstlerischer Preiswürdigkeit gemacht hat.
Wir sind uns sicher einig, dass Deutschland allein schon aufgrund seiner Vergangenheit nie wieder ein Land sein darf, in dem Hass und Hetze gegen Minderheiten auf eine schweigende oder gar applaudierende Mehrheit treffen und menschenverachtende Parolen unwidersprochen bleiben. Deshalb hat die Freiheit der Kunst, die zu schützen ich für die vornehmste Pflicht demokratischer Kulturpolitik halte, dort ihre Grenze, wo Holocaust-Opfer verhöhnt werden, und ich hoffe, dass die Branche die Diskussion um den ECHO zum Anlass nimmt, sich einer offensichtlich überfälligen Debatte über ihre gesellschaftliche Mitverantwortung und ihre Haltung gegenüber Frauen-feindlichkeit, Homophobie, Rassismus und Gewaltverherrlichung zu stellen – und der Frage, was aus einer Gesellschaft wird, in der Verrohung als preiswürdig und damit salonfähig und "Schulhof-kompatibel“ gilt.
Mit Thomas Rabe, dem Vorstandsvorsitzenden von Bertelsmann und Hartwig Masuch, CEO von BMG, der heute auch hier ist – ich grüße Sie herzlich! – hatte ich dazu im Mai ein, wie ich finde, gutes Gespräch. Mein Eindruck war, dass Bertelsmann als Konsequenz aus dem Skandal um Kollegah und Farid Bang eine Reihe wirksamer Maßnahmen ergriffen hat, um solche Ausfälle künftig nicht mehr zu vermarkten. Darüber hinaus kann ich die Musikwirtschaft nur ermutigen, sich als Branche mit dem Thema auseinander zu setzen. Ideen wie ein freiwilliger Ethikkodex der Musikwirtschaft verdienen es, diskutiert zu werden, und ich wäre grundsätzlich gerne bereit, sinnvolle Initiativen der Branche öffentlichkeitswirksam zu unterstützen.
Zumindest gegen abstoßend frauenfeindliche Texte wäre sicherlich – dieser Hinweis sei erlaubt - schon einiges gewonnen, wenn mehr Frauen als bisher in verantwortlichen Positionen vertreten wären. Faire Chancen für Frauen in der Musikwirtschaft wären darüber hinaus auch ein Gewinn für jene Vielfalt in der Musikkultur, die zu schützen und zu fördern unser gemeinsames Anliegen ist, meine Damen und Herren. Die aus meinem Etat geförderte Studie "Frauen in Kultur und Medien“ des Deutschen Kulturrats hat vor zwei Jahren offenbart, dass die Sparte Musik, was faire Chancen für Frauen angeht, im Vergleich zu anderen Kunstsparten besonderen Nachholbedarf aufweist. Das betrifft insbesondere Führungspositionen in der Musikwirtschaft und in Musikverbänden. Aber auch bei der Verleihung von Musikpreisen sind Frauen nach wie vor stark unterrepräsentiert.
Das sollte eine Branche, die sich in einer gesellschaftlichen "Vorreiterrolle“ sieht – wie es im Jahresbericht "Musikindustrie in Zahlen 2017“ heißt –, nicht ohne Resonanz bleiben. Dass unter den MentorInnen und Mentees des Mentoring-Programms für Künstlerinnen und weibliche Kreative (- eine der zentralen Aufgaben des von mir geförderten Projektbüros "Frauen in Kultur und Medien“ beim Deutschen Kulturrat -), auch die Musikbranche vertreten ist, ist schon einmal ein guter Anfang.
Ich jedenfalls hoffe, dass es beim heutigen Musikwirtschaftsgipfel nicht nur um die Frage der politischen Verantwortung für die Musikwirtschaft geht, sondern auch um die gesellschaftliche Verantwortung der Musikwirtschaft. Allein dass dieser Gipfel stattfindet und ein Forum der Verständigung über Fragen schafft, die die ganze Branche betreffen, ist schon ein großartiger Erfolg, und ich danke den beteiligten Verbänden, der Initiative Musik, der GEMA und der GVL für diese Gemeinschaftsaktion, ebenso den Gastgebern beim Tagesspiegel und dem Organisationsteam.
Gerade die Musik ist ja eine Sprache, die mehr als jede andere des Zuhörens und Einfühlens bedarf, des Lauschens auf andere Stimmen, auf Takt und Tonart, auf laut und leise – und so steht es der Musikbranche gut zu Gesicht, diese Kultur der Verständigung auch im Rahmen eines Branchentreffens zu pflegen.
So wünsche ich Ihnen, dass Sie heute Abend nicht in einer Stimmung auseinander gehen, wie Heinrich Heine sie einmal nach dem Erklimmen eines Gipfels zu Papier gebracht hat, nämlich als er dem Brocken, dem höchsten Berg Norddeutschlands, Folgendes im Gipfelbuch hinterließ: "Große Steine, müde Beine, saure Weine, Aussicht keine. – Heinrich Heine.“ Um "große Steine“ werden Sie heute sicherlich nicht herum kommen, meine Damen und Herren, und auch wenn sich Müdigkeit breit macht, wenn die Aussicht bisweilen nicht gerade atemberaubend ist und wenn statt Wein zumindest bis zum abendlichen Get-Together nur Kaffee auf den Tisch kommt, bin ich doch überzeugt, dass es sich lohnt, gemeinsam nach Wegen zu suchen, wie wir die Vielfalt der Musikkultur in Deutschland auch im 21. Jahrhundert erhalten können. In diesem Sinne: auf inspirierende Diskussionen und einen ertragreichen Musikwirtschaftsgipfel!" (es gilt das gesprochene Wort)