Duisburger Philharmoniker
Duisburger Philharmoniker  
Foto:  Laurina Bleier

Energie und Mobilität gehören bei den Theatern und Orchestern in Deutschland zu den größten Emissionstreibern. Mit Leitfäden und Klimabilanzen möchten die Institutionen gegensteuern.

Vom Klima-Stück zur strukturellen Nachhaltigkeit

Die öffentlich finanzierten Theater und Orchester in Deutschland stehen Ende 2022 vor immensen Herausforderungen. Nach zwei pandemiebedingt eingeschränkten Spielzeiten gilt es einerseits, das Publikum dauerhaft zurückzugewinnen. Andererseits bleibt die Spielplandisposition schwierig: wegen steigender Kosten in Folge der Energiekriese, anhaltenden Erkrankungswellen in den Ensembles sowie den zu stemmenden Tarifsteigerungen. Mitte November musste bspw. die Bayerische Staatsoper eine große Opernproduktion wegen erhöhter Energie- und Materialkosten sowie Personalmangel um ein Jahr verschieben.

Dass der sparsame Umgang mit Ressourcen derzeit oberste Priorität erlangt, geht einher mit einem umfassenden Transformationsprozess, in dem sich die Theater und Orchester ohnehin bereits befinden: Familienfreundlicher, diverser und vor allem nachhaltiger wollen sie sich aufstellen, um Vorbilder und Mittler zu sein in einer Gesellschaft, die gerade jetzt den sozialen Austausch besonders benötigt.

Tatsächlich hat in den beiden vergangenen Jahren – verstärkt durch ein pandemiebedingt erzwungenes Innehalten – ein starkes Bewusstsein für ökologisch nachhaltigeres Handeln im Kulturbereich eingesetzt. Nicht erst mit Beginn der Fridays for Future-Proteste in Deutschland Ende 2018 ist das Thema Klimawandel auf den Bühnen in zahlreichen Inszenierungen aufgegriffen worden. Auch in struktureller Hinsicht setzt nun ein Umdenken ein. Die Ausrufung des Klimanotstandes durch das Europäische Parlament Ende 2019 kann als Zäsur betrachtet werden, seitdem haben in Deutschland 74 Städte den Klimanotstand ausgerufen. Für Theater und Orchester in kommunaler Trägerschaft hatte das verschärfte Anforderungen bspw. an die Energieeffizienz und Energieversorgung ihrer Gebäude zur Folge.

Anfang 2020 wurde die erste „AG Klimawandel und Theater“ am Hans Otto Theater in Potsdam gegründet. Nachhaltigkeitsmaßnahmen jenseits der Bühne betrafen bis dahin vor allem Bau- und Sanierungsprojekte oder Aspekte der Mobilität, wie etwa bei den Staatstheatern Stuttgart, die 2020 ihre gesamte Fahrzeugflotte auf E-Mobilität umgerüstet haben. Seitdem ist auf betrieblicher Ebene viel passiert: Es gibt erste valide Datenerhebungen zum Emissionsausstoß und vielerorts wurden Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppen angeregt, um bottom-up den Transformationsprozess innerhalb der Häuser zu begleiten.

Auch die großen Kulturverbände gehen voran: Der Deutsche Bühnenverein hat eine Arbeitsgruppe gegründet und die Webinar-Reihe „Nachhaltigkeit, Klima und Theater“ gedreht. Von der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung unisono wurde der Leitfaden „Nachhaltigkeit im Orchester- und Konzertbetrieb“ herausgegeben, der wichtige Handlungsfelder und Akteure umreißt. Die Deutsche Theatertechnischen Gesellschaft (DTHG) hat mit dem „Theatre Green Book“ ein Nachschlagewerk publiziert, das umfassende Informationen zu umwelt- und sozialverträglichem Arbeiten am Theater versammelt. Weiterhin dienen inzwischen gegründete bundesweite Initiativen wie das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit als Informations- und Austauschplattformen. Und schließlich hat die Kulturstiftung des Bundes Förderprogramme wie den Fonds Zero aufgesetzt, bei dem bis 2025 insgesamt vier Millionen Euro für Kultureinrichtungen zur Verfügung stehen, um eine bundesweite Nachhaltigkeitsinitiative umzusetzen.

miz Wissen

Mehr zum Thema

Webinare und Leitfäden
Webinar-Reihe „Nachhaltigkeit, Klima und Theater" des Deutschen Bühnenvereins

Leitfaden „Nachhaltigkeit im Orchester- und Konzertbetrieb“ der Deutschen Musik und Orchestervereinigung unisono

„Theatre Green Book“ der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft

Die Motivation ebenso wie die strukturelle Unterstützung zur Transformation von Kulturbetrieben waren nie so ausgeprägt wie jetzt, schließlich soll Deutschland bis 2045 klimaneutral werden. Und dabei können Theater und Orchester als Orte der gesellschaftskritischen Intervention eine Vorbildfunktion einnehmen.

Datenerhebung innerhalb der Institutionen

Voraussetzung für die langfristige Implementierung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen ist zunächst eine valide Datenbasis der Institutionen. So hat das Musiktheater im Revier (MiR) in Gelsenkirchen als eines der ersten Opernhäuser Deutschlands bereits für die Spielzeit 2019/20 eine CO₂-Bilanz erstellt. Hierfür gab es eine umfangreiche Datenerhebung in den Bereichen Energie, Wasser, Abfall und Mobilität von Publikum sowie Personal. Alle Emissionsquellen zu erfassen, um zukünftige Einsparmaßnahmen effizient koordinieren zu können, war hier das erste Ziel. Mittlerweile gibt es die zweite Datenerhebung vom MiR zur Spielzeit 2020/21, die wegen der coronabedingten zeitweiligen Schließung des Hauses jedoch nicht als Vergleichsbasis dienen kann.

In der ebenfalls von Lockdowns betroffenen Folgesaison 2021/22 hat auch das Theater Regensburg – als erstes Fünfspartenhaus Deutschlands – eine CO₂-Bilanz ermittelt. Mit Unterstützung des Münchner Projektbüros WHAT IF wurde ein Nachhaltigkeitsprozess gestartet, an dessen Anfang ebenfalls die Bilanzierung von Treibhausgasemissionen des Theaters stand. Um einen repräsentativen Datenpool zu erhalten, wurden Betriebsdaten der seinerzeit bereits vergangenen Spielzeit 2018/19 genutzt, die noch keine pandemisch bedingte Reduktion von Zuschauerzahlen und Vorstellungen aufwiesen. Zusätzlich führte das Haus eine Publikums- und Beschäftigtenbefragung zu Aspekten der Mobilität durch. Wie sich zeigte, gehörten Energie und Mobilität zu den größten Emissionstreibern, wobei auch hier eine coronabedingte Verzerrung zu beachten war: 22 Prozent der befragten Zuschauer*innen gaben an, aus Sorge vor einer Infektion lieber den eigenen PKW statt den öffentlichen Nahverkehr für die Anfahrt zum Theater zu nutzen. Beschäftige des Hauses hingegen reisten bereits zu 70 Prozent klimafreundlich an, z. B. per Fahrrad.

Bild
Lastenräder des Theaters Regensburg
Lastenräder des Theaters Regensburg  
Foto:  Matthias Hinz

Expertise einholen

Für solche Bilanzierung ist es notwendig, sich fachliche Expertise ins Haus zu holen, sei es durch beratende Agenturen oder durch Schulung von eigenen Mitarbeitenden. Die 2021 vom Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit in Kooperation mit der IHK Köln und der Energieagentur.NRW neu geschaffene Weiterbildung „Transformationsmanger:in Nachhaltige Kultur“ vermittelt jenes nötige Handlungswissen an Theater- und Kulturschaffende. Nach Abschluss des knapp viermonatigen Lehrgangs können sie als Multiplikatoren Nachhaltigkeitsprozesse in den eigenen Institutionen begleiten, selbst Klimabilanzen erstellen und sich vernetzen. Unter den ersten Absolvent*innen sind mittlerweile Mitarbeitende des Staatsschauspiels Dresden, der Bühnen Köln, der Oper Leipzig oder des Deutschen Theaters in Göttingen aus allen Gewerken: von Referenten über die Technische Direktion bis zur Dramaturgie. Auch andere Weiterbildungsmöglichkeiten existieren, wie der zertifizierte Lehrgang „Nachhaltigkeitsmanager*in Kultur und Medien“ vom Institut für Zukunftskultur in Berlin oder das kostenlose Online-Seminar „Klimaverantwortung in Kulturorganisationen“ der Initiative Culture4Climate von der Kulturpolitischen Gesellschaft.

Arbeitsgruppen als Bottom-Up-Strategie

Um Nachhaltigkeitsstrategien auch langfristig etablieren zu können, ist transparente Kommunikation ebenso entscheidend wie eine möglichst intrinsische Motivation der Beteiligten. Arbeitsgruppen auf freiwilliger Basis, die sich regelmäßig und teils selbstorganisiert treffen, bestehen mittlerweile an der Oper Leipzig, dem Volkstheater Rostock oder dem Badischen Staatstheater in Karlsruhe. 2021 wurde auch an den Städtischen Bühnen Frankfurt eine abteilungsübergreifende Nachhaltigkeits-AG von Oper und Schauspiel ins Leben gerufen, weil Austausch und Vernetzung mit anderen Häusern als zentrale Notwendigkeit erkannt wurden.

DNT Weimar möchte „Klimaschutztheater“ sein

Im gleichen Jahr hat sich das Deutsche Nationaltheater und Staatskapelle Weimar (DNT) Leitlinien für ein klimaneutrales Theater gegeben, auch hier tagt monatlich eine „Klima-AG“. Anfang 2023 soll die erste Emissionsbilanz des Mehrspartenbetriebes vorliegen, anhand der weitere konkrete Schritte geplant werden können. Zur Erreichung einer möglichen Klimaneutralität im Jahr 2030 wurden am DNT vier Handlungsfelder definiert: Energieversorgung (etwa die Umstellung auf erneuerbare Energien und die Inbetriebnahme einer Solaranlage), Gebäudeentwicklung (energetische Sanierung), Mobilität (alternative Antriebe im Fuhrpark, Nutzung des ÖPNV) sowie Beschaffung/Materialverbrauch (Recycling und Weiterverwertung). Um eine Vorreiterrolle als „Klimaschutztheater“ für Thüringen einnehmen zu können, betont das DNT auf seiner Webseite auch die kollektive Verantwortung der Mitarbeitenden: „Klimaschutz ist eine gemeinschaftliche, vielseitige Aufgabe, die in allen Bereichen des Theaters verankert werden muss. Neben den strukturellen Maßnahmen kommt es für eine Zielerreichung auf die Mitwirkung jedes*r einzelnen Beschäftigten an.“

Sanierungsmaßnahmen als langfristige Stellschraube

Während die Bereiche Energieverbrauch und Mobilität als Stellschrauben für mehr Nachhaltigkeit identifiziert und sukzessive Maßnahmen vielerorts bereits ergriffen wurden, ist nachhaltige Gebäudeentwicklung eine langfristige, vor allem kostenintensive Aufgabe. Dennoch bieten bereits kleinere bauliche Veränderungen großes Potenzial: Dämmarbeiten, die Erneuerung von Klimaanlagen, die Umrüstung von Haus- und Bühnenbeleuchtung auf energiesparende LED-Technik, die Begrünung von Dächern oder der Einsatz von Photovoltaikanlagen, wie sie beispielsweise das Theater Erfurt 2019 auf den Dächern seiner Spiel- und Werkstätten installiert hat, um eigens produzierten Ökostrom ins Netz der Stadtwerke einzuspeisen – und damit die eigenen Stromkosten zu senken. Auch mittlerweile ausgereifte Anlagen zur Wärmerückgewinnung sind eine Option, um den Energieverbrauch so gering wie möglich zu halten.

Bühnen- und Kostümelemente wiederverwenden

Wie auch in den Betriebsabläufen Nachhaltigkeitsstrategien implementiert werden können, zeigt derzeit die Oper Leipzig. Mit einer strategischen Stärkung der Gewerke soll dem Prinzip der Wiederverwertbarkeit von Bühnen- und Kostümelementen Rechnung getragen werden; Bühnenbilder aus Standardbaukästen sowie ein gut gepflegter Fundus bieten die Möglichkeit, Ressourcen zu erhalten, statt jede Produktion neu ausstatten zu müssen. Für 2023 ist hier die erste klimaneutrale Opernproduktion geplant.

Der Umgang mit Ressourcen im Orchesterbetrieb

Für einen nachhaltigeren Musiktheater- und Orchesterbetrieb ist jenseits der Bühnenausstattung das Agieren der 88 in Deutschland situierten Theaterorchester sowie der 31 Konzert- und 12 Rundfunkorchester zu beachten. Neben der CO₂-Bilanzierung von Spielstätten steht hier das Thema Mobilität sowie der Umgang mit Ressourcen im Fokus: Schutz von Tropenhölzern im Instrumentenbau oder Papierverbrauch. Die Umstellung von gedruckten Noten hin zu digitaler Tablet-Nutzung hat in Einzelfällen bereits stattgefunden.

Als erstes Orchester in Deutschland hat das Stuttgarter Kammerorchester Anfang 2022 seine Klimaneutralität publik gemacht und dafür sämtliche Aktivitäten des Orchesters eingerechnet: Proben, Konzertbetrieb, Infrastruktur sowie Printerzeugnisse. „Vermeiden und Einsparen vor Kompensieren“ lautete das Motto, also etwa Ökostromnutzung und die Beteiligung an Aufforstungsprogrammen zur Kompensation von unvermeidbaren Emissionen. Entscheidend für den Konzertbetrieb ist auch, inwieweit Flugreisen eingeschränkt werden können, besonders vor dem Hintergrund des schlecht aufgestellten innerdeutschen Bahnverkehrs. Dass interkultureller Austausch und damit auch Transatlantik-Flüge nicht generell aufzugeben sind, ist derweil Konsens, wenngleich entsprechende CO₂-Ausgleichszertifikate hohe Kosten verursachen.

Bild
Stuttgarter Kammerorchester am Bahnhof
Beim Reisen setzt das Stuttgarter Kammerorchester nach Möglichkeit auf die Bahn.  
Foto:  Oliver Röckle

Auch thematisch wollen immer mehr Orchester in Deutschland für Klima- und Umweltschutz eintreten und schließen sich dem 2020 gegründeten Verein „Orchester des Wandels Deutschland“ an, der auf eine Initiative der Musiker*innen der Staatskapelle Berlin zurückgeht. Kreative Konzertformate sollen einerseits die Klimakrise ins Zentrum der öffentlichen Wahrnehmung rücken, andererseits ermöglicht eine Vernetzung der beteiligten Berufsorchester mit Wissenschaftler*innen die Weiterentwicklung nachhaltiger Strategien.

Dass die Bereiche Mobilität und Energieverbrauch die größten Emissionstreiber im Theater- und Konzertbetrieb sind, ist mittlerweile ins Bewusstsein vieler Kulturinstitutionen gerückt. Dass das Publikum anreisen muss – ebenso wie die Künstler*innen selbst –, liegt jedoch im Wesen des real erlebten Theater- oder Konzertabends. Insofern werden zukünftig vor allem ein möglichst klimaschonendes Reisen sowie Energieeinsparung und der schonende Umgang mit Ressourcen von zentraler Bedeutung sein.

Über die Autorin

Ulrike Kolter ist Chefredakteurin der Zeitschrift Die Deutsche Bühne mit Schwerpunkt auf Tanz und Musiktheater.