Klimakonzert des Orchesters des Wandels der Staatskapelle Berlin
Klimakonzert des Orchesters des Wandels der Staatskapelle Berlin  
Foto:  Peter Adamik

Klimaschutz in Theatern und Orchestern ist oft ein Spagat zwischen individuellem Engagement und administrativen Vorgaben. Claudia Schmitz (Deutscher Bühnenverein) und Gerald Mertens (unisono) zeigen Lösungsansätze auf.

MIZ: Herr Mertens, Sie haben mit der DOV, inzwischen unisono, im September 2021 einen Leitfaden für Nachhaltigkeit im Orchester- und Konzertbetrieb herausgegeben. Wie kam es dazu?

GERALD MERTENS: Eigentlich hatten wir das 1. Quartal 2020 zum Schwerpunkt für das Thema Nachhaltigkeit machen wollen, doch dann kam Corona. Aus den Orchestern heraus gibt es schon seit mehr als zehn Jahren eine Basisbewegung, das Netzwerk „Orchester des Wandels“. Im November 2019 hatten wir eine Vorstandssitzung, bei der Markus Bruggaier, Hornist bei der Staatskapelle Berlin, aus der Praxis berichtet hat, wie diese Bewegung entstanden ist. Das war für uns ein Impuls, das Ganze in einen größeren Kontext zu setzen und ein Positionspapier zu machen. Wenn man mal nachforscht, was es alles schon gibt, dann stellt man fest, dass etwa Großbritannien oder Kanada schon viel weiter sind und man das Rad auch gar nicht neu erfinden muss. Entstanden ist ein Diskussionspapier, ein dynamisches Papier, das immer wieder zu neuen Gesprächen anregen soll und regelmäßig aktualisiert werden muss.

MIZ: Nun ist es seit 14 Monaten in der Welt, welche Reaktionen haben Sie darauf bekommen, und wie nötig ist aus aktueller Sicht das Update?

MERTENS: Es gab sehr vielfältige Reaktionen vom Deutschen Kulturrat und anderen Verbänden, die ja auch auf dieser Strecke unterwegs sind und sich fragen, was sie tun können. Das wurde zuletzt natürlich durch die Energiekrise und die aktuellen Fragen, die uns alle beschäftigen, überlagert. Es ist fast eine Ironie, dass es ein paar Institutionen gibt, die diese 360°-Analyse mit einer Förderung der Bundeskulturstiftung gemacht haben und dadurch genau wissen, wie ihre CO2-Bilanz aussieht. Ganz viele Einrichtungen haben das aber noch nicht. Wir müssen jetzt aber noch ein bisschen abwarten, denn durch die aktuelle Situation hat sich sehr viel verändert.

„Nachhaltigkeit mit allen Dimensionen – ökologisch, ökonomisch, sozial – ist ein zentrales Thema.“
Autor
Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins

MIZ: Frau Schmitz, der Bühnenverein ist Mitglied im Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit, und Sie haben eine Webinar-Reihe zum Thema ins Leben gerufen. Was waren die Gründe dafür, und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

CLAUDIA SCHMITZ: Wir sind der Arbeitgeber- und Interessenverband der Bühnen und verhandeln als solcher nicht nur die Rahmenbedingungen der künstlerisch Beschäftigten mit deren Gewerkschaften, sondern geben auch Impulse zu wichtigen Themen. Das Thema Nachhaltigkeit mit allen Dimensionen – ökologisch, ökonomisch, sozial – ist ein zentrales Thema. Deshalb sind wir Mitglied im Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit und haben die Webinare aufgelegt, die immerhin von 75 Institutionen genutzt wurden, das waren 75 Häuser, die das Angebot herunterladen und teilen konnten. Die Resonanz war sehr gut. Wir arbeiten außerdem zum Beispiel mit der DTHG, der Deutschen Theatertechnischen Gesellschaft, zusammen und konnten so unseren Mitgliedern das „Theatre Green Book“ zur Verfügung stellen, das die DTHG übersetzt hat. Die Arbeit in Netzwerken ist aus meiner Sicht sehr wichtig, um das Thema auf allen Ebenen zu denken, auf der künstlerischen, aber auch auf der institutionellen Ebene.

MIZ: Wie schätzen Sie die Situationen an den Bühnen vor Ort ein? Welchen Stellenwert hat das Thema, und wie hoch ist das individuelle Engagement?

SCHMITZ: Der Stellenwert ist hoch, und das Engagement steigt. Es ist seit Längerem ein Thema und hat durch die Krise eine neue Dynamik bekommen. Nachdem die Kulturstiftung des Bundes bei einigen Häusern schon die Erstellung umfassender CO2-Bilanzen gefördert hatte, die Herr Mertens gerade angesprochen hat, wurde im zweiten Schritt das Programm „Fonds Zero“ aufgelegt, d. h. die Unterstützung einer klimaneutralen Produktion. In diesem Programm haben immerhin 17 Institutionen, die Mitglied bei uns sind, den Zuschlag bekommen.

MIZ: Wie äußert sich das Engagement an den Häusern?

SCHMITZ: Es gibt Nachhaltigkeits-AGs, Fortbildungen und zum Teil direkt an den Häusern über das Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit ausgebildete Transformationsmanager*innen, Materialkreisläufe werden neu bewertet, die Mobilität und mögliche Umstellung auf E-Mobilität und vieles mehr. Durch die aktuelle Krise hat das Ganze deutlich mehr Dynamik bekommen, und, das muss man auch sagen, es geht nicht um Freiwilligkeit, sondern es gibt schlicht Vorgaben: 2045 soll Deutschland klimaneutral sein. Dazu gehören auch die Theater und Orchester; sie sind Orte mit gesellschaftskritischem Standort, die auch eine Vorbildfunktion haben.

„Das Orchester des Wandels hatte vor einem Jahr noch 20 Mitgliedsorchester, jetzt sind es 35. Bei 129 Berufsorchestern – inklusive Rundfunk – ist da noch Luft nach oben.“
Autor
Gerald Mertens, Geschäftsführer von unisono, Deutsche Musik- und Orchestervereinigung

MIZ: Welche Funktion haben Ihre Verbände in Bezug auf dieses Engagement: Möchten Sie koordinieren oder vor allem unterstützen? Worauf zielen Sie mit Ihren Verbandsaktivitäten jeweils ab?

MERTENS: Ich sehe uns da eher als Katalysator: Zum einen zu schauen, was national und international geschieht, was andere tun und wie erfolgreich sie damit sind, was wir davon transportieren können. Zum anderen mit Blick auf die Identifikation. Das Orchester des Wandels hatte vor einem Jahr noch 20 Mitgliedsorchester, jetzt sind es 35. Bei 129 Berufsorchestern – inklusive Rundfunk – ist da noch Luft nach oben. Die Entscheidung, dabei zu sein, ist auch eine Selbstverpflichtung zu sagen, ja, wir engagieren uns dafür. Übrigens: Wir reden jetzt über Klimafragen, aber Nachhaltigkeit ist viel, viel größer und in den 17 Nachhaltigkeitszielen, den Sustainable Development Goals (SDGs) benannt. Verbände können helfen zu sortieren und Prioritäten zu prüfen.

SCHMITZ: Ich sehe das ähnlich. Wir können bündeln und Input geben, aber die Spezialist*innen sind vor Ort. Gerade in den Theatern haben wir technische Abteilungen und Abteilungen für Gebäudemanagement. Ein weiterer Punkt ist das Lobbying, denn man muss sich darüber bewusst sein, dass die Theater und Orchester nicht auf alle relevanten Bereiche gleichermaßen Einfluss haben. Ein Konzerthaus oder Theater ist nicht im Eigentum des Orchesters oder der Bühne, sondern es gehört einem Träger, der Kommune zum Beispiel. Hier stoßen Orchester oder Theater dann bei ihren Nachhaltigkeitsbemühungen an Grenzen, weil das Gebäude manches gar nicht hergibt. Wir als Verband sind in der Rolle zu vermitteln und für entsprechende Förderprogramme zu werben oder sie auch einzufordern, damit die Sanierungsstaus abgearbeitet werden. Auch das ist durch die Energiekrise in den Fokus gerückt. Wir sprechen hier über finanzielle Dimensionen, die im Budget eines Orchesters oder eines Theaters keinesfalls abgebildet sind.

MIZ: Demnach sehen Sie sich als Vermittler zwischen individuellem Engagement bzw. konkreter Umsetzung auf der einen Seite und den politischen bzw. administrativen Vorgaben auf der anderen. Funktioniert diese Vermittlung von Bedürfnissen und Vorgaben in beide Richtungen auf die gleiche Weise?

SCHMITZ: So könnte man es zusammenfassen. Ein konkretes Beispiel dazu ist eine Checkliste, die wir in der Energiekrise für unsere Mitglieder entwickelt haben. Ganz bewusst eine Checkliste, mit der wir teilen, was grundsätzlich machbar wäre. Wir informieren auch über mögliche Szenarien, auf die sich unsere Mitglieder vorbereiten müssen bzw. für die wir eine Vorbereitung empfehlen. Wir appellieren an die Fachkompetenz in den Institutionen, aber wir stehen auch mit Rat und Tat zu Seite, denn wir haben auch viele kleine Mitglieder, die nicht über eine eigene Infrastruktur verfügen. Deswegen kommunizieren wir zum Beispiel auch den „Eco Rider“ des Bundesverbands Darstellende Künste, der vor allem für kleine Institutionen interessant ist, ebenso für Orchester, die einen Einstieg in das Thema suchen.

MIZ: Sie haben vorhin schon die Förderlinie „Fonds Zero“ angesprochen, mit der nun einige Einrichtungen bei der Entwicklung klimaneutraler Produktion unterstützt werden. Haben solche Maßnahmen aus Ihrer Sicht das Potenzial, Breitenwirkung zu entfalten?

MERTENS: Es sind Pilotprojekte, so ist es gedacht. Aber es liegt eine weitere Ironie darin, weil nicht klar ist, wie nachhaltig das tatsächlich ist. Grundsätzlich sind solche Projekte ehrenwert, nur die Frage der Verstetigung ist offen. Es gibt aber Bereiche, wo alle tätig werden können. Gern nenne ich hier den Bratscher Detlef Grooß aus dem Orchester des Nationaltheaters Mannheim, der das Thema für sich entdeckt und sich darin auch fortgebildet hat; er ist Vorstand im Orchester des Wandels und hat seine Bratschen-Stelle auf 50 Prozent reduziert, um sich mit den anderen 50 Prozent um Nachhaltigkeit in seinem Haus zu kümmern. Als er eine Reihe älterer Kühlschränke in den Aufenthaltsräumen des Nationaltheaters fand, die dort noch liefen, rechnete er dem Verwaltungsleiter vor, welche riesigen Mengen Stromverbrauch dadurch jedes Jahr zusammenkommen. So etwas zu verändern, erzielt schnell Effekte, auch im Bewusstsein des Teams.

„Den Ruf an die Träger, zusätzliches Geld bereitzustellen, damit es Nachhaltigkeit an den Bühnen gibt, sehe ich differenziert. Ich sehe die Institutionen auch selbst in der Pflicht.“
Autor
Claudia Schmitz

MIZ: Doch wie viel Kapazität ist denn an den Häusern tatsächlich frei für das Thema Nachhaltigkeit und Klimaneutralität? Und woher kommt das Geld für eventuell notwendiges zusätzliches Personal?

SCHMITZ: Das ist unterschiedlich, weil die Strukturen der Häuser sehr unterschiedlich sind. Das Nationaltheater Mannheim ist ein großes Haus mit vielen Mitarbeitenden und einem Budget, das Flexibilität lässt, damit umzugehen. Durch diese Aktivitäten werden zudem nicht nur Kosten generiert, sondern auch Einsparungen erreicht. Der Gedanke ist, Geld in die Hand zu nehmen, um transformatorische Prozesse in Gang zu setzen, die kurz-, mittel- oder langfristig zu einer Verbesserung führen. Es gibt sehr viele Bereiche, die man daraufhin überprüfen kann: Neben den Energieverbrauchen ist das etwa die Frage, ob es wirklich ein gedrucktes Spielzeitheft sein muss. Viele Maßnahmen führen dazu, mit Ressourcen besser umzugehen, das ist auch der Gedanke von einem Programm wie „Fonds Zero“.

Ein kleines Haus, ein kleines Orchester wird diese Möglichkeit unter Umständen nicht haben. Es kann sich aber über eine Kooperation oder durch eine Beratung beim Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit oder auch schlicht mit dem Leitfaden, über den wir eingangs sprachen, informieren. Es gibt alle nötigen Informationen, und wir brauchen nichts mehr zu erfinden. Es ist alles da. Den Ruf an die Träger, zusätzliches Geld bereitzustellen, damit es Nachhaltigkeit an den Bühnen gibt, sehe ich differenziert. Ich sehe die Institutionen auch selbst in der Pflicht.

Insgesamt werden sich die Produktionsabläufe ändern, und perspektivisch wird wahrscheinlich weniger produziert, weil sich die steigenden Energiekosten auf das gesamte Produktionsbudget auswirken. Wo aber weniger produziert wird, werden Zeit und Kapazitäten frei, um sich Gedanken um nachhaltige Prozesse zu machen.  

MERTENS: Es gibt klare Unterschiede zwischen einem kleinen Privattheater und einem großen Staatstheater mit 1.000 Beschäftigten. Ich sehe aber durchaus die Notwendigkeit einer strukturellen und personellen Verantwortung für das Thema Nachhaltigkeit in einer Institution. In einem Mehrspartenbetrieb wird das gern an den Technischen Direktor gegeben, doch der hat bereits genügend Aufgaben. Es ist die Frage, wie man Betriebe unter dem Gesichtspunkt Nachhaltigkeit neu organisiert. Dazu gehört auch die Anforderung, überhaupt erst einmal Kompetenz aufzubauen: Was sind die aktuell geltenden Regeln und Richtlinien, was die aktuellen Erkenntnisse, wo finde ich einschlägige Quellen? Sich auf diesem großen Gebiet  schlau zu machen, ist im laufenden Betrieb gar nicht vorgesehen. Der Kompetenzerwerb muss organisiert werden, auch in großen Strukturen. Der Druck lastet aktuell auf den Technischen Direktoren, doch das reduziert das Thema auf den technischen Bereich. Es betrifft aber verschiedene Abteilungen und am Ende wirkt es sich womöglich auch künstlerisch auf den Spielplan aus oder auf die Vernetzung mit Institutionen aus anderen Bereichen, zum Beispiel Umwelt- oder Klimaschutzgruppen. Da gibt es viele wirklich spannende Möglichkeiten, gerade für den Kunstbetrieb – und das muss gemanagt werden.

MIZ: Was sind die größten Herausforderungen, und wo liegen die größten Potenziale: im Gebäude, in der Mobilität oder in der Neuorganisation des Produktionsbetriebs?

SCHMITZ: Es ist alles, und es ist eine Frage der Priorisierung. In einem Gebäude, das energetisch nicht optimal aufgestellt ist und für das der Träger im Moment keine Sanierungsmittel bereitstellt, muss man sich innerhalb dieser Rahmenbedingungen bewegen. Herr Mertens hat die SDGs der Vereinten Nationen angesprochen. Mit ihnen kann man eruieren, wo man steht – ökonomisch, ökologisch, sozial. Es ist nicht zielführend, sich auf Dinge zu konzentrieren, die man nicht beeinflussen kann oder für die man aktuell nicht das Geld hat, sie zu verändern. Sinnvoll ist es, das herauszufiltern, was man steuern kann, etwa die Produktionsabläufe oder die eigene Fahrzeugflotte. Dazu gehören auch Fragen nach den Reisen – mit Betonung auf dem „Wie“ und nicht auf dem „Ob“. Und wie kommen meine Beschäftigten zum Theater? Es gibt sehr viele Ansatzpunkte, und es ist wichtig, alles genau anzusehen und die Prioritäten festzulegen. Nicht weniger wichtig ist auch die Frage, wie man sich verbünden kann: mit anderen Musikinstitutionen, mit der Kommune, mit Museen. Damit lässt sich viel mehr erreichen, schon allein, weil man im Austausch und in der Vernetzung wieder neues Wissen generiert.

„Oft stößt man an die Grenzen des Haushaltsrechts, das die Wahl des günstigsten Anbieters vorschreibt. Hier müsste ein Umdenken einsetzen, denn das billigste Angebot ist nicht immer das nachhaltigste.“
Autor
Gerald Mertens

MIZ: Welche Unterschiede zwischen einem Orchester- und einem Theaterbetrieb fallen dabei besonders ins Gewicht?

MERTENS: Abgesehen von Orchestern mit einem eigenen Konzerthaus, hat ein kleineres oder mittleres Orchester eine vollkommen andere Situation als ein großes Staatstheater mit Fundus, Werkstätten und so weiter. Bei einem Mehrspartenhaus spielt das Facility Management eine große Rolle. Bei einem Orchester ist das Thema reduziert auf den Bereich Mitarbeitende und eventuell noch Räumlichkeiten für Proben und Verwaltung. Bei Reiseorchestern kommt die Frage der Mobilität hinzu. Und leider muss man an dieser Stelle sagen, dass hier die Bahn zwar wünschenswert, der Bus jedoch oft ohne Alternative ist, denn eine eng getaktete Planung ist nun mal üblich im Konzertbetrieb, und die pünktliche Ankunft essenziell. Man kann sich weiterhin fragen, welche Dienstleister beauftragt man – welches Busunternehmen, welche Druckerei, welchen Caterer und so weiter – und so kommt man von Detail zu Detail. Oft stößt man dann aber an die Grenzen des Haushaltsrechts, das die Wahl des günstigsten Anbieters vorschreibt. Hier müsste natürlich auch ein Umdenken einsetzen, denn das billigste Angebot ist nicht immer das nachhaltigste.

SCHMITZ: Das ist ein ganz wichtiges Thema – ob es nun Denkmalschutz ist oder Vergabe. Wir brauchen ganz dringend Anpassungen in den Rahmenbedingungen. Ein Beispiel ist das Fliegen: Wenn sich ein Flug nicht vermeiden lässt und ich ihn kompensieren möchte, ist das in vielen Fällen nicht möglich, weil diese Kompensationen nicht förderfähig sind. Mittelfristig werden sich die Förderrichtlinien sicherlich in Richtung Nachhaltigkeit entwickeln. Die Kommunen haben erklärt, den Weg in die Klimaneutralität zu gehen, und das betrifft dann auch die von ihnen getragenen Gebäude für die Theater und Orchester, die diese Ziele entsprechend mittragen. Das impliziert für die Träger die Verpflichtung, die Rahmenbedingungen anzupassen, damit die Institution so agieren kann, wie sie soll.

MIZ: Verändert sich da bereits etwas?

SCHMITZ: Erste Bewegung haben wir ansatzweise schon im Bereich Denkmalschutz, wenn es um das Thema Solarpanels geht. Nicht so optimistisch bin ich in Bezug auf das Haushaltsrecht.

MERTENS: Bis ökologische Aspekte in die Bundeshaushaltsordnung und in die Landeshaushaltsordnungen eingehen, erst Recht in die Gemeindehaushaltsordnungen, wird sicher noch einige Zeit vergehen – es sei denn, der Druck wird noch größer.

MIZ: Wie lässt sich das Reisen aus Ihrer Sicht noch besser aus der Perspektive der Nachhaltigkeit handhaben? Sie haben vorhin gesagt, es sei nicht die Frage, ob Reisen stattfinden, sondern nur, wie. Sehen Sie in quantitativen Begrenzungen keine Lösung?

SCHMITZ: Reisen bedeutet Austausch und ist damit zentral für die Kulturbetriebe. Wenn ein Orchester im Wesentlichen von Gastspielen lebt, dann ist die Diskussion über das „Ob“ der Reisen absurd. In anderen Fällen ist die Diskussion aber wichtig, ob ein Gastspiel in den USA zum aktuellen Zeitpunkt wirklich zielführend ist. Viele Nachhaltigkeitsmanager*innen sind bei Festivals aktiv, wo das Reisen ebenfalls ein essentieller Bestandteil ist. Auch da gibt es Überlegungen, welche Veränderungen möglich sind. Das ist aber nicht komplett neu. Festivalveranstalter haben immer schon versucht, die Aktivitäten zu bündeln, wenn sie Kompanien aus den USA oder aus Asien eingeladen haben. Die eine oder andere Reise findet aber vielleicht auch gar nicht statt, weil der Aufwand zu hoch ist. Das ist ein komplexes Thema, es gibt dazu keine einfachen Antworten. Nur: Aus meiner Sicht kann die Antwort nicht sein, dass wir nicht mehr reisen. Wir müssen prüfen, wofür wir reisen und wie wir es tun.  

MERTENS: Eine Veränderung beobachte ich schon. Die großen Orchester, die in der Vergangenheit sehr viel unterwegs waren, sind inzwischen zurückhaltender. Man fliegt nicht mehr für zwei Konzerte nach Brasilien. Kurze Gastspiele mit dem Flieger, die früher aus verschiedenen Gründen üblich waren, werden seltener.

MIZ: Hatte Corona darin eine verstärkende Rolle?

MERTENS: Corona hat zu einer Besinnung geführt, zu einer Besinnung, was wirklich erforderlich ist und was vertretbar. Müssen wir, um neues Publikum zu generieren, tatsächlich in einem Konzert vor 2.000 Menschen an einem bestimmten Ort auftreten und dafür fliegen? Allerdings kommt der Gastspielbereich gerade erst wieder in den normalen Betrieb, sodass wir noch beobachten werden, wie sich das in den nächsten zwei bis drei Spielzeiten entwickelt.

„Ich glaube nicht an Streaming, sondern ich glaube, dass Konzerte und Theatervorstellungen Live-Erlebnisse sind und dass es ein großes Bedürfnis nach der persönlichen Begegnung gibt.“
Autor
Claudia Schmitz

MIZ: Wäre es ein künstlerischer Verlust, wenn künftig tendenziell weniger Reisen stattfinden?

MERTENS: Das ist sehr schwer zu beurteilen; aufwändige Operngastspiele etwa gibt es ja schon heute kaum noch. Kürzlich war die Deutsche Oper mit „Hänsel und Gretel“ in Muscat (Oman), aber so etwas ist die absolute Ausnahme. Es war auch nur eine Produktion, und genutzt wurden die Techniker dort vor Ort. Das ist kein Vergleich mit der Praxis in den 80er und 90er Jahren mit den vielen aufwändigen Gesamtgastspielen. Das kann sich heute niemand mehr leisten, und unter ökologischen Gesichtspunkten würde man das heute ebenfalls nicht mehr machen.

SCHMITZ: Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt, dass nicht jede Sitzung in Präsenz stattfinden muss, es kann auch eine gute Mischung aus Präsenz und Digitalität sein. Im künstlerischen Bereich sehe ich das anders. Ich glaube nicht an Streaming, sondern ich glaube, dass Konzerte und Theatervorstellungen Live-Erlebnisse sind und dass es ein großes Bedürfnis nach der persönlichen Begegnung gibt. – Durch Corona haben wir gelernt, wie wir außerhalb des künstlerischen Kernbereichs Digitalität nutzen können. Und das ist wunderbar, denn es hilft uns, Ressourcen einzusparen, die wir für die Kunst einsetzen können.

MIZ: Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Musiklandschaft in Deutschland verändern auf dem Weg hin zur Treibhausgasneutralität? Erwarten Sie, dass sich der Reichtum im Musikleben in den kommenden 20 Jahren erhalten wird – unter veränderten Vorzeichen?

SCHMITZ: Davon gehe ich aus. Ich sehe nicht, dass Theater oder Orchester durch Nachhaltigkeitsbemühungen in ihrer Existenz bedroht sind. Alle Kulturinstitutionen stehen aktuell unter einem enormen Druck. Dabei geht es nicht nur um Fragen wie Klimaneutralität oder eine nachhaltige Aufstellung, sondern wir sind in einer Krise mit rasant steigenden Energiekosten, die auch hoch bleiben werden. Wir haben steigende Personalkosten. Wir haben steigende Mindestgagen. Das sind ebenfalls Aspekte von Nachhaltigkeit, und es sind in der Summe Faktoren, die sicher dazu führen werden, dass es die eine oder andere strukturelle Veränderung geben wird. Ich sehe das aber positiv. Die Chance, aus dieser Krise etwas Gutes zu machen, überwiegt. Voraussetzung ist allerdings, dass alle bereit sind, eine Veränderung für sich persönlich zu akzeptieren. Also: Wir wollen nicht nur abstrakt Veränderung, wir sind Teil von Veränderung, und sie betrifft uns.

MERTENS: Ich sehe Kultur im Allgemeinen sowie Theater und Orchester im Besonderen auch als Treiber und Diskursräume, als Orte, wo genau diese Fragen thematisiert werden können. Alle Kultureinrichtungen sind mit den Themen der Sustainable Development Goals konfrontiert, im Moment natürlich unter dem Druck der Energiekrise. Aber es geht eher darum, das Ganze andersherum zu sehen und zu sagen, wir als Kultur können einen großen Beitrag zur gesellschaftlichen Transformation leisten.

Das Interview fand am 21. November 2022 statt. Die Fragen stellte Christiane Schwerdtfeger.

Claudia Schmitz ist seit 2022 Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins. Die Juristin war zuvor in der Verwaltung verschiedener Theater tätig, zuletzt als Kaufmännische Geschäftsführerin am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Claudia Schmitz, Geschäftsführende Direktorin des Deutschen Bühnenvereins

Gerald Mertens ist Rechtsanwalt und arbeitet seit 2001 als Geschäftsführer von unisono, Deutsche Musik- und Orchestervereinigung (früher DOV). Er ist u. a. Mitglied im Aufsichtsgremium der GVL und Vorsitzender des Kuratoriums der Deutschen Orchester-Stiftung.
Gerald Mertens, Geschäftsführer von unisono, Deutsche Musik- und Orchestervereinigung